Archiv der Kategorie: Spiegel

Lesebeute: Warum Verlagsleiter Christian Schlottau den Spiegel verlässt

Der Spiegel hatte am Freitag in einer Pressemitteilung geschrieben:  “Christian Schlottau, 52, als Verlagsleiter zuständig für alle Verlagsobjekte der SPIEGEL-Gruppe mit den Bereichen Anzeigenvermarktung, Onlinevermarktung, Vertrieb, Marketing-Services und Werbung, wird das Unternehmen zum 31. Dezember 2009 in bestem Einvernehmen und aller Freundschaft verlassen.”

Die Fachzeitung Horizont sieht neben der formalen Umstrukturierung, die der Spiegel als Begründung für den Weggang Schlottaus angibt, auch andere Motive und schreibt u.a.: ” Die wahre Erklärung für Schlottaus scheinbar plötzlichen Abgang dürfte im Inneren des „Spiegel” liegen: Die neue, fusionierte Vermarktungssparte Spiegel QC, die seit September am Start ist, läuft dem vielfachen Vernehmen nach nicht richtig rund. “

Lesebeute: Spiegel-Kritik von links

* Im August hatte Bild.de mehr Visits als Spiegel-Online, das bisher führende Nachrichtenmagazin im Web (dwdl).

* Scharfe Kritik von links gibt es an dem Spiegel-Artikel “Die Feuer der Hölle” (35/2009, S. 118-122), der für den Kulturteil beworben wurde mit “Mythen: Der Heldenkult um den schwarzen Todeskandidaten Mumia Abu-Jamal” .

* Bei Spiegel-Online war am Wahltag 30. August die Linke kurzzeitig wieder zur PDS mutiert.

* Bild und Spiegel sind sich mal wieder einig – und machen gemeinsam mit bei der etwas undurchsichtigen Kampagne “Zeit der Entscheidung”, einer Wahl-Werbe-Soap. Bei Bild – bei Spiegel-Online.

* Die Spiegel Mitarbeiter KG hat eine neue Satzung.

* Der Spiegel als Förderer einer Islamophobie? Die NRhZ über das neue Buch von  Kay Sokolowsky: “Feindbild Moslem”

* Spiegelfechter Jens Berger stellt – auf seine Weise – vier prominente Spiegel-Mitarbeiter vor:
“Wenn man den Niedergang des SPIEGELs an Personen festmachen will, so fallen immer wieder die Namen Claus Christian Malzahn, Henryk M. Broder, Gabor Steingart und Reinhard Mohr.” Titel der Betrachtung: “Die vier Konvertiten”.

Und noch folgende Hinweise:

* Am 2. Oktober gibt es in Berlin eine interessante Tagung zum Google-Book-Settlement. (via iRights.info/Arbeit 2.0)

* Eine Übersicht der bisher veröffentlichten Stellungnahmen zu einem möglichen “dritten Korb”, also weiteren Änderungen des Urheberrechtsgesetzes insbesondere im Hinblick auf digitale Nutzung und Bearbeitung, gibt es bei www.iuwis.de

Spiegel bringt Farbe in 2. Weltkrieg

Foto-Deklarationen sind beim Spiegel so eine Sache, der wir bei Gelegenheit einmal einen genaueren Blick schenken wollen. Heute nur der Hinweis, dass das Cover-Foto der aktuellen Ausgabe (37/2009) nachträglich coloriert worden ist, ohne dass darauf hingewiesen wird. Laut Bild will die Redaktion auf dieses Versäumnis in der nächsten Ausgabe hinweisen.

Lesbeute: Rotzige Spiegel-Leute

+Über den “rotzigen Ton” eines Spiegel-Interviews mit Ministerpräsident Günther Oettinger, das mehr über die Fragesteller als den Befragten aussage, mokiert sich im Südkurier Gabriele Renz: ” Meist aber spielt Oettinger mit wie ein Schaf, das ohne Murren zur Schlachtbank geführt wird. Er steht nicht auf und verlässt das Gespräch, bemüht sich, anders als sein Gegenüber, um Sachlichkeit. Forsch sei gefragt worden, und er habe ‘sportlich reagiert’, sagt Günther Oettinger, darauf in der Regierungspressekonferenz angesprochen.
Im Inhaltsverzeichnis ist nachzulesen, worum es den Fragestellern offenbar ging: den ‘politischen Abstieg’ des Interviewpartners.”
+Die ARD ist Deutschlands zweitgrößter Medienbetrieb – nach Bertelsmann und lange vor Axel Springer.

+Den Verzicht auf eine Urhebernennung von Filmmaterial in SpiegelTV kritisiert Stefan Niggemeier.

Lesebeute: Leserreporter suchen behinderte Zeitbomben

+ Der aktuelle Spiegel-Titel (28/2009) mit der Unterzeile “Warum auf den Ersten Weltkrieg ein zweiter folgen musste” lädt nicht gerade zum Lesen ein. Arno Widmann hat es aber womöglich getan und muss sich in der FR sehr aufregen.

+ Schon im Editorial des Spiegel 26/2009 wird auf einen recht merkwürdigen Beitrag hingeweisen (“Wie bayerische eltern mit einem behinderten Kind leben, das sie abtreiben lassen wollten”).
Bei Oliver Tolmein, der u.a. auf journalistische Fehler hinweist, gibt es eine Diskussion dazu

+ Süddeutsche.de vermutet hinter dem großen Bauer-Interview im Spiegel 27/2009  – obwohl bzw. wohl ob es gähnend langweilig ist – einen Deal, mit dem eine eigene, bereits zu Pfingsten fertige Geschichte verhindert werden sollte. Wer sich für Spekulationen interessiert, hier.

+ Auch der Spiegel muss sparen und wird Stellen streichen, berichtet das Hamburger Abendblatt.

+ Der vorherige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust moderiert mit Sabine Christiansen einen Talk und soll für die WAZ neue Print-Konzepte entwickeln, weiß u.a. meedia.

+ Zum Beitrag von Reinhard Mohr über “Deutsche Linke und Iran” gibt es viele Kommentare. Wir verweisen mal auf Spiegelblog und Nachdenkseiten, die noch einen interessanten Hinweis auf Jürgen Elsässer veröffentlichen.

+ Patrick Beser wundert sich, dass Spiegel-Mobil auch Leser-Reporter sucht.

Lesebeute: Investigatives Monitor-Watching

+ Ab Sommer soll es “Spiegel Geschichte” auch als TV-Sendung bei Premiere geben.

+ Auch Spiegel-Online hielt ein Plakat des Satire-Magazins Extra3 (NDR) zunächst für echten SPD-Wahlkampf, sagt der NDR.

+ Der Spiegel zerlegt sein Ressort “Deutsche Politik” in der Hamburger Zentrale. Die 10 (Abendblatt) bis 13 (Tagesspiegel) Redakteure sollen entweder in Hamburg bleiben und ins Ressort “Deutschland” oder nach Berlin ins Hauptstadtressort wechseln. Die Zukunft des bisherigen Ressortleiters Hans-Ulrich Stoldt, der zugleich Sprecher der Redaktion ist und an guten Tagen sogar Anfragen von Spiegelkritik beantwortet hat, ist offenbar noch unklar.

+ Der Spiegel-Bericht vom “Finanzgipfel in London” (“Ich übernehme die Verantwortung”, 15/2009, S. 24-29) erweckt den Eindruck, “die Reporter des Blattes säßen unter dem Verhandlungstisch und protokollierten jedes Wort inklusive der Speisefolge in der Mittagspause (“Leberkäse und Gemüsestrudel”)”, meint das Hamburger Abendblatt, das zu berichten weiß, wie der Spiegel dieses Mal an die Detail-Infos gekommen ist: “Den Spiegel-Reportern gelang es, in einem Raum, der Delegationsmitgliedern der beteiligten Staaten vorbehalten war, via Monitor die vertraulichen Gespräche zu verfolgen.”

+ Dass der Intelligenz-Quotient eine relative Größe ist, hat der Spiegel offenbar übersehen, als er schrieb “Der Anteil der Hochbegabten mit einem IQ von über 130 liegt konstant bei etwa zwei Prozent.”, wie das Bildblog für alle anmerkt.

+ “Eigentümlich frei” ist ein Magazin für Menschen mit einem sehr eigentümlichen Freiheitsbegriff, doch André Lichtschlags kritsicher Kommentar zum Spiegel-Titel über den „lebensgefährlichen Unsinn privater Schusswaffen“ sei hier mal erwähnt.

Lesebeute: Kriminal-Studie verzerrend dargestellt

  • Heftige Kritik an der journalistischen Präsentation einer Studie des medial hyperpräsenten Christian Pfeiffer äußert die Neue Zürcher Zeitung. «Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt» heißt das Werk des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Wer Studie und Berichterstattung (sowie 2 und 3) vergleiche,  “wird Anlass zum Erschrecken finden, weil das Medienecho nicht nur den Schwerpunkt der Studie grob verzerrt wiedergibt, sondern auch eine völlige Kritiklosigkeit gegenüber den methodischen Fragwürdigkeiten des Unternehmens erkennen lässt.”
  • Die Initative Nachrichtenaufklärung hat die vernachlässigten Top-Themen 2008 präsentiert.
  • SpOn-chef Büchner wird Chefredakteur der Deutschen Presseagentur (dpa).
  • Zu Büchners Online-Plänen derzeit beim Spiegel gibts ein Kress-Interview.
  • Auch der Spiegel hat mit Anzeigenrückgang zu kämpfen.
  • Die Galle hoch kam Joachim Müller-Jung, weil Spiegel-Online embryonalen und fötale neuronale Stammzellen verwechselt hat. Ist aber korrigiert.
  • Mit Buzzriders.com will Robert Basic “Spiegel Online und Heise angreifen”, sagt er im Meedia-Interview.
  • Dass Spiegel-Online die Pinneberger für die schlechtesten Autofahrer hält, sorgt bei den Betroffenen für Unmut, der im Abendblatt gelüftet wird.
  • Althaus drohen keine 3 Jahre Haft

    Spiegel-Online hatte am Samstag erneut berichtet, Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus drohe “eine Anklage wegen ‘fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen'” und dramatisierte: “Im Falle einer Anklage drohen Althaus bis zu drei Jahren Haft.”

    Laut Süddeutscher Zeitung dementiert Staatsanwalt Walter Plöbst dies. Für besonders gefährliche Verhältnisse gebe es keine Anhaltspunkte. Die Höchststrafe für fahrlässige Tötung beträgt ein Jahr, mit Bewährung (bedingte Strafe) wäre zu rechnen.

    “Spiegel” und “junge Welt” werben für die Wahrheit

    “Fakten stören beim Verriß” überschrieb die Junge Welt (jW) am 28. Januar eine Kritik an der Spiegel-Berichterstattung über die Links-Fraktion und die Abgeordnete Ulla Jelpke.

    Dabei geht es der jW zum einen um den Beitrag “Gysis Heimkind” (“Ulla Jelpke steht so weit links, dass sich der Verfassungsschutz für sie interessiert. Ihre Alleingänge belasten die Partei – doch die Führung hält an der Abgeordneten fest.” – bereits einmal hier verhandelt), zum anderen um den Artikel “Komplizen des Terrors” (“In der Partei Die Linke schüren etliche Israel-Gegner antisemitische Ressentiments. Fraktionschef Gregor Gysi wurde zum israelischen Botschafter gebeten.” Spiegel 5/2009, S. 26, noch nicht online), beide von Markus Deggerich vom Berliner Spiegel-Büro.

    Nach mehreren Telefonaten und Mailwechseln dokumentieren wir nun die beiden widerstreitenden Ansichten.

    Die jW schreibt unter dem Pseudonym Karl Faust:

    Erst Anfang der Woche lieferte Der Spiegel ein weiteres Beispiel für manipulative Berichterstattung. »Komplizen des Terrors« ist ein Bericht über die Linksfraktion betitelt, in dem der Autor Markus Deggerich meinungsstark aber faktenschwach versucht, Teilen der Fraktion wegen ihrer Ablehnung der israelischen Kriegspolitik Antisemitismus anzuhängen. Dabei macht sich Deggerich nicht einmal die Mühe, zwischen »Antisemitismus« und »Antizionismus« zu unterscheiden. Die unterschwellige Botschaft lautet: Wer gegen Israels Kriegspolitik ist, will ein neues Auschwitz.
    Fakten können bei einem solchen Verriß nur stören. Da wird der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke flugs zum außenpolitischen Sprecher ernannt. Falsch – er ist Obmann seiner Fraktion im außenpolitischen Ausschuß. Seiner Kollegin Ulla Jelpke wird ein israelkritisches Zitat aus einer Bundestagsrede untergeschoben – sie hat dort jedoch nie zu diesem Thema geredet.

    Markus Deggerich sagt dazu: “Wir haben Frau Jelpke kein “israelkritisches Zitat untergeschoben”, Sie finden es auf ihrer Homepage. Sie hat es allerdings nicht im Bundestag gesagt, wie sie nun sagt, sondern auf einer Demo, auf ihrer Homepage fand es sich aber unter der Rubrik “im bundestag”. Das Zitat selbst bestreitet sie auch gar nicht – anders als die junge Welt suggeriert.”

    Die jW schreibt:

    Über einen Protestbrief, den die Abgeordneten Gehrcke und Norman Paech (letzterer ist tatsächlich außenpolitischer Sprecher) an den israelischen Botschafter geschrieben hatten, heißt es, Fraktionschef Gregor Gysi habe dem Diplomaten »sein Bedauern über das Schreiben« geäußert, »auch im Namen der Autoren«. Beide bestätigten jedoch gegenüber jW, daß sie inhaltlich überhaupt nichts bedauern.

    Im Spiegel heißt es in “Komplizen des Terrors”:

    “Am vergangenen Donnerstag saß der Linken-Fraktionschef [Gregor Gysi] in der Residenz [des israelischen Botschafters] und erklärte sein Bedauern über das Schreiben, auch im Namen der Autoren. Am Ende einigte man sich, dass der Brief nun aus der Welt sei.”

    Deggerich dazu:
    “Wir behaupten desweiteren an keiner Stelle, Gehrcke und Paech hätten ihr Bedauern über den Brief an den Botschafter ausgedrückt. Wir schreiben, dass Gysi dieses gegenüber dem Botschafter gesagt hat. Wir bleiben bei unserer Darstellung.
    Mir ist kein Dementi von Gysi bekannt und die junge Welt kann es bisher auch nicht belegen.”

    Karl Faust dazu:
    “Herr Deggerich hätte auch Sorgfaltspflicht bewiesen, wenn er berichtet hätte, daß sich Gysi in der Fraktionssitzung am Dienstag vor dem Gespräch mit dem israelischen Botschafter inhaltlich voll hinter den Brief von Gehrcke und Paech gestellt hat. Deggerich hätte das wissen müssen – nach Informationen aus der Fraktion war er bei dieser Sitzung anwesend.
    Woher Deggerich die Information hat, daß Gysi in dem Gespräch sein »Bedauern über das Schreiben, auch im Namen der Autoren« geäußert hat, bleibt sein Geheimnis. Weder Gysis Büro noch die Pressestelle der Linksfraktion bestätigen diese Aussage. Dazu diese Presseerklärung von Gysi:


    »28.01.2009 – Gregor Gysi
    Spieglein, Spieglein an der Wand

    Im Gespräch des Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE, Gregor Gysi, mit dem israelischen Botschafter hat der Inhalt des offenen Briefes der Fraktionsmitglieder Wolfgang Gehrcke und Norman Paech zum Gaza-Krieg keine Rolle gespielt<, korrigiert der Pressesprecher der Fraktion DIE LINKE einen entsprechenden Bericht in der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“, in dem es hieß, Gregor Gysi habe gegenüber dem Botschafter auch im Namen der Autoren sein Bedauern über das Schreiben ausgedrückt. Thalheim weiter: In der Fraktion wurde noch einmal bekräftigt, dass die Außenvertretung der Fraktion gegenüber Regierungen und Botschaftern Sache der Fraktionsvorsitzenden ist. Dies wird auch von Wolfgang Gehrcke und Norman Paech so gesehen. Nichts anderes hat Gregor Gysi dem Botschafter Israels übermittelt. Der Inhalt des offenen Briefes war schon deshalb nicht Gegenstand des Gesprächs mit ihm.« ---
    Mit zwei kurzen Telefonaten hätte er außerdem herausfinden können, daß beide Autoren überhaupt nichts bedauern.
    Angesichts dieser Sachlage sollte Herr Deggerich das Wort Recherche besser nicht in den Mund nehmen.”

    Markus Deggerich kritisiert:
    “Im Übrigen unterlässt die junge Welt den Hinweis, dass Frau Jelpke vor ihrem Einzug in den Bundstag Innenpoltik-Chefin des Blattes [jW] war.”

    Faust kommentiert:
    “Im jW-Artikel werden auch andere biografische Stationen von Frau Jelpke nicht erwähnt. Es wird auch nicht erwähnt, daß sie immer noch regelmäßige Mitarbeiterin der jW ist. Dieser Einwand hat etwa die gleiche Qualität, als wolle man uns anlasten, nicht erwähnt zu haben, daß Deggerich aus dem katholisch versumpften Dörfchen Elte stammt.
    Was will Herr Deggerich mit diesem Einwand andeuten? Daß dieser Artikel etwa von Frau Jelpke veranlaßt wurde? Oder daß sie ihn gar selbst unter dem Pseudonym »Karl Faust« geschrieben hat?”

    Der Spiegel schrieb im Juli 2008:

    Am Rednerpult steht Ulla Jelpke, 57, schmal, gut gebräunt und die Haare zum strammen Zopf geflochten.

    Die jW schrieb dazu:

    Den »strammen Zopf«, den er Jelpke andichtet, hat er bislang als einziger entdeckt.

    Deggerich verweist auf ein Video.

    Faust entgegnet:
    “Herr Deggerich schreibt: »… die Haare zum strammen Zopf geflochten.« Wo bitte hat er das gesehen? Auch das you-tube-Video gibt das nicht her.”

    Die jW schreibt:

    Fakten scheinen wohl nicht Deggerichs Ding zu sein. Ein ganzseitiger Artikel, den er im Juli [2008] über Jelpke schrieb, wimmelt von Fehlern, die die junge Welt keinem Praktikanten durchgehen ließe. Gysi wird da als Zitat in den Mund gelegt, Jelpke sei ein »Heimkind« – der Fraktionschef dementierte später, jemals dieses Wort gebraucht zu haben. Jelpke wird auch vorgeworfen, »Parteitage der DKP« besucht zu haben – was sie auch nach Auskunft von DKP-Mitgliedern nicht ein einiges Mal getan hat. Und daß sie im Juli zu politischen Gesprächen in die Türkei reiste, kommentierte ¬Deggerich als »erneutes Jelpke-Solo«, über das sich ihre Genossen »entsetzt die Haare raufen«, »ihre Alleingänge belasten die Partei«.

    Markus Deggerich verweist dazu auf eine Entscheidung des Beschwerdeausschuss 2 des Deutschen Presserats (BK2-206/08; dort wird fälschlich für die Spiegel-Veröffentlichung der 1. September 2008 genannt), die auf eine Eingabe von Ulla Jelpke zurückgeht. Am 3. Dezember 2008 hat demnach der Presserat entschieden: “Insgesamt liegt damit kein Verstoß gegen die Publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserats vor, so dass der Beschwerdeausschuss die Beschwerde für unbegründet erklärt.
    Die Entscheidung ergeht mit 3 Ja-Stimmen, 1 Nein-Stimme und 1 Enthaltung.”

    Insgesamt ging es um sechs Kritikpunkte, die der Beschwerdeausschuss letztlich verworfen hat. Zu den Erwägungen des Beschwerdeausschusses heißt es darin: “Falsche Tatsachen kann der Ausschuss nicht erkennen. Alle aufgestellten Behauptungen kann die Redaktion mit Fakten belegen, lautet das abschließende Urteil der Mehrheit der Ausschussmitglieder.”

    In der Entscheidung heißt es aber auch: “Einen handwerklichen Fehler erkennt der Ausschuss in der Passage: ‘Doch egal, ob Jelpke auf Treffen ehemaliger Stasi-Kader ihre Solidarität beteuert, Parteitage der DKP besucht oder bei Grußworten in der venezolanischen Botschaft die ‘Unbeugsamkeit’ der kubanischen Revolution feiert: […]’ Vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin zwar nie an einem DKP-Parteitag teilgenommen hat, dennoch mehrfach auf DKP-Veranstaltungen gesprochen hat, bewertet der Ausschuss die Wirkung dieses handwerklichen Fehlers auf den Leser als gering.”

    Dazu Karl Faust:
    “Auch wenn der Presserat im wesentlichen die Rabulistik der Spiegel-Rechtsabteilung übernimmt – auch er spricht von »handwerklichen Fehlern« in Herrn Deggerichs Bericht.
    Stellungnahmen des Presserates sind für die jW kein Ersatz für das, was tatsächlich geschehen ist und was wir persönlich recherchiert haben.
    Als Beispiel möchte ich Frau Jelpkes Reise nach Ankara anführen. Herr Deggerich schreibt »unabgesprochen«, daß sich die Genossen »entsetzt die Haare raufen«, »erneutes Jelpke-Solo«. Ich (K. Faust) war persönlich anwesend, als Frau Jelpke mit Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Ulrich Maurer telefonisch ihre Reise abstimmte. Ich saß zufällig auch daneben, als sie das AA informierte. Da kann der Presserat schreiben, was er will: Deggerich hat Falsches berichtet: es war weder unabgesprochen, noch haben sich »die« Genossen die Haare gerauft, noch war es ein »Solo«.
    Es wäre vielmehr Herrn Deggerichs Sorgfaltspflicht gewesen, zu recherchieren.”

    Karl Faust meint abschließend:
    “Daß im journalistischen Alltag aus verschiedenen Gründen Fehler entstehen können, für die man anschließend am Ohr gezogen wird, weiß jeder Redakteur. Bei Deggerichs Berichten ist jedoch eine eindeutige Tendenz erkennbar: Er konstruiert künstliche Gegensätze in der Linksfraktion, bzw. in der Partei. Er hat zwar schon mehrfach in ziemlich abträglicher Weise über Frau Jelpke geschrieben, sich bisher jedoch nicht ein einziges Mal die Mühe gemacht, sie selbst anzurufen. Seriöse Berichterstattung sieht anders aus.”

    Recherche muss honoriert werden

    Journalismus ist nicht nur Berichterstattung und Kommentar in vielfältigen Darstellungsformen, Journalismus ist vor allem auch Nicht-Berichterstattung und Nicht-Kommentar in keiner Darstellungsform. Informationsverdichtung, Selektion von Unwichtigem, Konstruktionen von Wirklichkeit… – es gibt viele Schlagworte zu dieser Achillesferse des Journalismus: was ist relevant, was nicht – was kommt über die Medien in die Öffentlichkeit, was bleibt unbeachtet?
    Schulzki-Haddouti.jpegSpiegelkritik sprach darüber mit Christiane Schulzki-Haddouti. Die freie Journalistin arbeitet vor allem über Medien- und Technik-Themen und betreibt den Kooptech-Blog unter. Seit 2000 ist sie Jurymitglied in der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA), fünf Jahre leitete sie Rechercheseminare an den Universitäten Dortmund und Bonn.

    SpKr: Die Initiative Nachrichtenaufklärung kürt jedes Jahr zehn vom deutschsprachigen Journalismus vernachlässigte Themen, das nächste Mal am 17. Februar. Mehr Wichtiges bleibt uns nicht verborgen?

    Schulzki-Haddouti: Jedes Jahr sehen wir eine ganze Reihe von Themen, die zwar gesellschaftlich relevant, aber dennoch aus verschiedenen Gründen vernachlässigt wurden. Ich bin gespannt, auf welche Themen sich die Jury in diesem Jahr einigt.

    In den USA kommt regelmäßig eine Liste von 25 Themen zusammen. Bei INA werden nicht so viele Themen eingereicht – es sind so etwa 150 pro Jahr. Diese Themen werden von Journalistik-Studenten recherchiert und am Ende werden etwa 20 Themen einer Jury vorgeschlagen, die dann die “TOP 10” festlegt.

    Eines der am meisten vernachlässigten Themen des vergangenen Jahr waren ja Menschenrechtsverletzungen in China – im Zuge der Olympischen Spiele wurde dann über einiges berichtet. Doch über die vielen Gefangenenlager weiß man – aus nachvollziehbaren Gründen – bis heute zu wenig.

    SpKr: Und die Medien laufen hernach rot an vor Scham, dass sie so wichtige Dinge übersehen haben?

    Schulzki-Haddouti: Die Reaktionen sind leider sehr verhalten. Die Kollegen berichten nur selten über die Initiative; man kann schon froh sein, dass das Ergebnis kurz vermeldet wird (siehe dazu ausführlich in Kooptech). Aber es wird praktisch nie als Anstoß für eigene Recherchen genutzt. Etwa die Geschichte über den Grünen Punkt: Hier hatten wir eine ganze Latte von Rechercheansätzen aufgezeigt, aber es hat ein paar Jahre gedauert, bis der WDR der Sache nachgegangen ist, und das nur in Ansätzen. Man hätte da sehr viel daraus machen können.

    SpKr: Das beklagen auch investigative Journalisten wie Jürgen Roth, der sich wundert, dass gerade auch in der Regionalberichterstattung kaum an den vielen Informationen in seinen Büchern weitergearbeitet wird. Sind die Journalisten zu dusselig dafür, zu faul oder woran liegt es? Weiterlesen