Dauerbrenner Silvesterfeuerwerk und kein Ende in Sicht

Natürlich auch in diesem Jahr kurz vor Silvester: die Debatte ums Feuerwerk und die private Knallerei. Jedes Jahr dasselbe Thema, nur die Argumentationsmoden wechseln ein wenig. Letztlich ein Paradebeispiel für nutzlosen Journalismus, denn: Klarheit schafft keine dieser Debatten. Jeder darf sich in seiner Pose gefallen und sozialmedial dafür Applaus sammeln.

Dabei ist die Sache m.E. recht einfach. Da es stets um die Frage eines Verbots geht, spielt die persönliche Vorliebe oder Abneigung gar keine Rolle – denn dann ließen sich alle Grundsatzfragen mit einer Stimmungsabfrage klären, was aber gerade nicht demokratisch ist, sondern nur Willkür einer artikulierten bzw. potenten Mehrheit.

Es geht schlicht um die Frage: wie weit greift der Brauch des privaten Silvesterfeuerwerks in die Selbstverwirklichungsfreiheit anderer ein, und wie weit würde ein Verbot in solche Rechte eingreifen. Es ist eine klassische Abwägungssache: die einen wollen es so, die anderen so, beide Positionen erscheinen miteinander unvereinbar. Die derzeitige Lösung: es gilt – von Ausnahmen abgesehen – ein ganzjähriges Knallverbot mit Ausnahme 1. Januar und 31. Dezember.

Natürlich geht Silvesterfeuerwerk und Böllerei zahlreichen Menschen gewaltig auf die Nerven. Aber: sie gehen anderen mit ihrem Verhalten auch auf die Nerven. Mit Autofahren, Fliegen, Schlagzeugspielen; mit ihren Amazon-Bestellungen und Grillpartys, ihrer Wahl einer Deppen-Partei etc.

Klar, der augenblickliche Kompromiss ist nicht sakrosankt, er ist schlicht staatlich dekretiert, ohne viel Demokratieschnickschnack. (Und die Herrschaft neigt grundsätzlich nicht dazu, den Bürgern mehr Freiheiten zu lassen, als zur Verhinderung der Revolution nötig ist.) Aber ein völliges Verbot wäre Willkürherrschaft, auch wenn’s die Bürger beschließen sollten (denn die Schikane von Minderheiten statt Mehrheiten ist ja der diskriminierende Normalfall).

Dagegen helfen auch die Vernunftsargumente nicht (Feinstaub, Menschengefährdung, Geldverschwendung etc.). Soweit sie die Feuerwerkfans selbst betreffen spielen sie grundsätzlich keine Rolle: jeder darf mit sich machen, was er will, es ist grundsätzlich nicht die Aufgabe der Gesellschaft, einzelne vor sich selbst zu schützen (von der schwierigen Ausnahme geistiger Unzurechnungsfähigkeit evtl. abgesehen). Vieles ist gefährlich, insbesondereein gesundes und unfallfreies Leben – denn das endet mit hoher Wahrscheinlichkeit nach jahrelanger Vollbetreuung auf Pflegegrad 5 – mit den Selbstbestimmungsrechten und -möglichkeiten eines Säuglings.
Grundsätzlich relevant hingegen sind alle Vernunftsargumente, die das Gemeinwohl bzw. die Rechte Dritter betreffen. Aber die in den Diskussionen immer wieder angeführten sind allesamt nicht stark genug, ein Verbot zu begründen – nicht auf der Vernunftebene.

Ja, das Silvesterbrauchtum macht Dreck in den Städten, dessen Beseitigung überwiegend von der Allgemeinheit finanziert werden muss. (Und auch Feuerwerksgegner müssen aus Dachrinnen und Vorgärten Raketenreste wegräumen.) Aber so ist das mit zig anderen Sachen auch. Die städtischen Blumenrabatten muss ich auch mitfinanzieren, obwohl ich sie hässlich finde und dort lieber irgendeinen Naturwuchs sähe.

Ja, Pyrotechnik macht Luftverschmutzung. Aber weder andauernd noch nachhaltig, sondern nennenswert nur eine Stunde im Jahr. Wer sich dem nicht aussetzen mag, bleibt in seiner Wohnung und lässt die Fenster zu – fertig.

Und ja, vor allem zahlreiche Haustiere reagieren geradezu panisch auf die Knallerei. Das ist nicht schön, und ich habe keinen Grund zur Verharmlosung, habe ich doch selbst seit Jahren gleich mehrere dieser Panik-Patienten zuhause. Es hilft zwar nicht, ein Leid gegen ein anderes zu verrechnen, nur: so barbarisch, wie diese Gesellschaft bisher mit Tieren insgesamt umgeht, ist der Silvesterschreck nun wahrlich ein sehr untergeordnetes Problem. Wenn wir demokratisch vernünftig alle Schlachthöfe und Tierversuchslabors geschlossen haben, können wir uns dem Tierwohl beim Jahreswechsel annehmen – vorher ist jedes damit begründete Verbot wiederum nur Willkür, und vermutlich sogar ein Missbrauch von Ethik und Empathie.

Letztlich offenbart sich an der jährlichen Forderung nach einem Feuerwerksverbot nur der gesellschaftliche Egoismus: Ich fühle mich durch dies und das behelligt, das will ich nicht ertragen, also hinfort damit. Auf diesem fürchterlich asozialen Level läuft inzwischen ein guter Teil aller Petitionen und sonstigen Initiativen. Sie wollen entweder die eigene Weltsicht für alle verbindlich machen, oder sie wehren sich eben gegen jede Lebensäußerung, die nicht im Takt mit der eigenen schwingt. Die einen rebellieren gegen das “Tanzverbot” am stillen Feiertag, andere gegen jeden Hauch von Rauch; den einen passt der Straßenkarneval nicht und anderen Essensgeruch in der Straßenbahn; dieser dreht durch, wenn eine Brust öffentlich wird, und sei’s nur zum Füttern des Kindes, jene echauffiert sich übers wahrnehmbare Wasserlassen. Und meinem verehrten Tucholsky wurden ein paar Schräubchen locker, wenn irgendwo ein Hund bellte.

Es kann ein jeder nur dann nach seiner Fasson selig werden, wenn es eine gewisse Toleranz gibt für Tangierungen durch andere Heilsprozesse. Dazu gehört selbstverständlich, mit Inbrunst für ein Feuerwerksverbot trommeln zu dürfen.

Der Journalismus allerdings könnte irgendwann mal zur Recherche statt Labertüte greifen – und das Thema klären, um uns fortan mit Neuem zu behelligen, die Grenzen der Toleranz gerne intellektuell strapaziös auslotend.

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