Archiv für den Tag: 16. September 2013

Mehr Mittelfinger, bitte

Warum tun sich so viele Journalisten schwer damit, Menschen Menschen sein  zu lassen? Sie wollen – zumindest in den von ihnen kommerziell beobachteten Lebensbereichen – Schauspieler sehen, über  deren Leistungen sie dann nicht nur zu Wahlkampfzeiten räsonieren.

Lorenz Maroldt sinniert im Tagesspiegel:

Ein Finger, der zum Fragezeichen wird, der aus dem Kandidaten ein Rätsel macht – und ihn womöglich als Kanzler unmöglich.

Seine Bildinterpretation:

Die Augen verkniffen, offen der Mund: ein Hooligan, kurz davor, dem Gegner mit der hohen Stirn das Nasenbein zu zertrümmern

Dabei ging es hier ja wirklich um Theater, mal wieder ein von Journalisten selbst veranstaltetes Improvisationstheater. Für die Reihe „Sagen Sie jetzt nichts“ hat Peer Steinbrück pantomimisch geantwortet. Eine ganz schöne Herausforderung, – und durchweg gelungen, wie ich finde.

Aber es gibt nur ein Bild, über das gesprochen wird, das die Süddeutsche Zeitung natürlich auch aufs Cover gehoben hat: der ausgestreckte Mittelfinger. Die hoch-seriöse Frage, die Steinbrück damit beantwortete, lautet: “Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?”

Was soll man auf solch eine Frage antworten? Der Stinkefinger ist nicht super-originell, aber er ist genau das, was jeder an Steinbrücks Stelle auf diese Frage sagen sollte – selbst, wenn er Worte verwenden dürfte. Weil die Frage an sich unglaublich dämlich ist: Warum sollte sich jemand “Sorgen machen” darum, dass ihm die Journalisten keine “netten Spitznamen” geben? Es gibt wohl allenfalls die Journalisten-Sorge, zu einem wichtigen Protagonisten ihres Tagesgeschäfts könnte ihnen  kein gut verkäuflicher, zitierfähiger “Spitzname” einfallen (oder ihnen  vom politischen Gegner zugetragen wird).

Ich mag Steinbrück nicht. Ich fand ihn im Kanzlerduell auch alles andere als sympathisch. Aber viel unsympathischer ist mir die gespielte Erregung über den Stinkefinger. Der geht völlig in Ordnung, weil er im schauspielerischen Kontext passte, menschlich absolut verständlich ist und von den Echauffierten selbst gefordert wurde.  (Tg)