Beleidigungsfreiheit ist ein Grundrecht

Ungerührt und in den Schlaf geschüttelt wie üblich hat der Medienbetrieb ein Urteil des Berliner Landgerichts kolportiert, wonach die Bezeichnung eines Menschen als “Arschloch” nie von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und dieses Wort zu führen auf der Bühne höchstens Ausnahmekünstlern zugestanden sein könnte. Berichterstattungsgrund ist stringenterweise auch nicht das Urteil an sich, sondern der Name des Klägers: Jörg Kachelmann.

Bei mehreren Konzerten soll der Rapper Kool Savas im Jahr 2010 in kurzen Texten zwischen Musikstücken Kachelmann als “Arschloch” bezeichnet haben.  “Zudem äußerte [Savas] in Bezug auf den Kläger unter anderem ‘verfickter … ‘, ‘Bastard’, ‘Idiot’, ‘Ich ficke ihn’.”Für die Herren Richter Mauck, Dölling und Hagemeister gab es da nicht viel am Sachverhalt zu klären. “Eine bestimmte Form der Beleidigung kann man nicht wegdiskutieren.” (Rolf Schälike und Achim Sander, Buskeismus.de)

Was an diesem Urteil wie an so vielen verwundert ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich deutsche Richter selbst zu Sachverständigen in allen Lebensfragen machen. Und so steht es für die drei Mannen der Jurisprudenz außer Frage, dass Kachelmann in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt wurde – rechtsgrundlos quasi. Im Urteil heißt es:

“Allerdings ist hier die Freiheit der Kunst – wenn überhaupt – allenfalls in einem geringen Maße betroffen. Bei einem Kunstwerk handelt es sich um eine freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur Anschauung gebracht werden; Kunst ist mithin auf das Schaffen von neuem, auch Grenzen Überschreitendem, angelegt und eine höchst individuelle Gestaltung und Bewältigung von – nicht selten autobiographischem – Erleben […]. Hier sind die Beleidigungen des Klägers durch den Beklagten nicht eingebunden in das Medium einer von dem Beklagten geschaffenen bestimmten Formensprache wie etwa einen Roman oder ein Musikstück. Es handelt sich lediglich um seine Moderationen auf Konzerten bzw. einen Eintrag auf seiner Internetseite. Auch wenn jedenfalls bei dem Konzert in Freiburg ein Zusammenhang zwischen der Moderation und dem folgenden Musikstück bestehen mag, liegt allein in der Moderation keine eigene freie schöpferische Gestaltung. Jedenfalls ist die Beschränkung der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeit des Beklagten durch das Unterlassungsgebot minimal.”

Das ist – je nach unterstellter Gutwilligkeit – weltfremd oder anmaßend. Ganz sicher sollten über Konzerte urteilende Richter vor Rechtsfindung einmal eben solche besuchen, um sie zu verstehen (denn dafür genügt ein Youtube-Schnipsel nicht). Selbstverständlich gehören die Zwischenmoderationen – und seien sie noch so kurz – ganz wesentlich zum Konzertdesign, zum Kunstvortrag. Eine Pause, eine Geste, eine Mimik – da könnten die Berliner Richter Kopfstand machen und es bliebe als Gesamterlebnis “Konzert”-Kunst.

Richter haben nicht über Kunst zu befinden. Ein Konzert, der Vortrag eigener Lieder vor Publikum, dürfte unstreitig Kunst sein. Richtern steht es schlicht nicht zu, nun einzelne Teile, Sequenzen, Minuten, Räume oder was auch immer vom Kunstbegriff auszunehmen: das verbietet die Freiheit der Kunst, die nicht unter einem richterlichen Gefallensvorbehalt steht.

Allerdings bräuchte es für eine sanktionsfreie Arschloch-Zeihung gar keine Kunstfreiheit – die Meinungsfreiheit aus demselben Artikel 5 des Grundgesetzes muss dafür völlig genügen.

Schon die Unterscheidungsversuche von Meinung und Tatsachenbehauptung sind Mumpitz – und zwar, da haben wir den Salat: wahlweise Meinungs- oder Tatsachen-Mumpitz.

Wenn die Presse vom “Pop-Titan” schreibt oder vom “König von Mallorca”, dann verstehen selbst Richter häufig, dass es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung handeln soll, sondern um eine Meinung, eine Einschätzung, eine Bewertung.

Andererseits wird sehr häufig eine Tatsachenbehauptung gar nicht geprüft, sondern mit der üblichen richterlichen Larmoyanz als Schmähkritik (also: nicht-zulässige­ Meinung) weggewischt. Unter anderem das “Arschloch” eben. Denn selbstverständlich, bitte schön, das weiß jeder, gibt es Arschlöcher auf der Welt, und leider nicht zu knapp. Doch anstatt sich die Mühe einer Prüfung zu machen, ob dies auf den so Bezeichneten aus dem Kontext des Bezeichnenden heraus zutrifft, rümpft  der Richterstand nur kurz die Nase und schüttelt den Kopf: durchgefallen. Qua unserer gottgegebenen Beurteilungskompetenz.

Oder haben Sie schon mal eine Beweisaufnahme erlebt zur Klärung des Arschlochfaktors eines Klägers?

Die Medien(journalisten) machen es sich zu einfach, wenn sie das Berliner Urteil ohne weitere Einordnung referieren. Denn was Kachelmanns “Medienanwalt”(-skanzlei) Ralf Höcker mal wieder erfolgreich ausgeübt hat, ist schlicht Privatzensur. Wenn sich die  Auffassung des Landgerichts durchsetzt (auch das OLG Berlin urteilt regelmäßig in diese Richtung, ebenso LG und OLG Hamburg) und nicht endlich gesetzlich die Stellung von Meinungsfreiheit, Kunst und Presse deutlich gestärkt wird, sehen wir wenig freien Zeiten entgegen.

Kabarettisten gehen zwar nicht ganz so inflationär mit Kraftausdrücken um wie Rapper, aber um so wirkungsvoller ist es, wenn sie einen Politiker, einen Banker oder einen sonstwie Mächtigen ein Arschloch zeihen – und dies geschieht, zum Glück und manchmal sogar im Anstaltsfernsehen. Es ist das Mindestrecht des gemeinen Volkes gegenüber seinen Beherrschern (inklusive deren Hofstaat): sie zu beschimpfen, zu verspotten, zu verhöhnen, zu verachten – nach Herzenslust. Nicht vollumfänglich vertrottelte Politiker haben das auch immer schon instinktiv begriffen und sind nicht gegen diesen Meinungskarneval egal zu welcher Jahreszeit vorgegangen. Nur ausnehmend dumme Politiker, oft mit dieser Geisteseigenschaft zum Diktator aufgestiegen, knüppeln die verbal geäußerte Wut des Volkes bis zur revolutionären Explosion zusammen.

Haben wir Tag oder Nacht, Sommer oder Winter, geht es uns gut oder schlecht? – das alles kann man objektiv feststellen, und doch hängt der Tatsachenbefund ganz vom Standpunkt ab. So ist das auch mit Arschlöchern – schließlich haben auch die allerallergrößten von ihnen ihre Anhängerschaft. Führer, Fußpilz, Faschosau – das kann eben alles drei zutreffend sein.

Diese Wahrheiten müssen viel öfter benannt werden – weg vom Harmonieschleim der Wir-haben-es-geschafft-Kaste. Allein in den Talkshows müssten die Moderatoren ungefähr jedem zweiten Gesprächsgast an den Kopf werfen, welche intellektuelle Pappschachtel er ist, was für ein zweibeiniger Witzversuch, welch durch die Medien amöbender Zellscheißhaufen. Darin mögen die Berliner Richter weder Kunst noch Meinung erkennen, aber das tut auch nicht Not, denn eben wegen dieses begrenzten Weltverstandes schreibt man Juristen ja alles auf, in Deutschland mit etwa 76.000 Paragraphen: damit sie nicht all zu viel denken müssen und im Gesetzestext möglichst jeden Eventualfall finden. Im Bereich der Persönlichkeitsrechte gibt es hier allerdings noch eine profitable Lücke, mit der sich die sog. “Promi-Anwälte” goldene Pappnasen verdienen (und sich – irrwitzigerweise – auch noch in den  modernen Adelsstand der Fernseh- und Podien-Präsenz gehoben sehen, anstatt als ethisch Aussätzige draußen vor dem Tore am Euro-Lagerfeuer zu frieren, aber bitte, jede Gesellschaft lässt sich auf eigenen Wunsch verkaspern).

Jörg Kachelmann ist in diesem Fall völlig wurscht. Allein die Tatsache, dass ihn jemand als Arschloch sieht, muss diese Titulierung rechtfertigen. Wie sonst sollte Kommunikation stattfinden? “Der, dessen Bezeichnung nicht genannt werden darf”, “dieses Siewissenschon”? Hätte Kool Savas sagen dürfen: “Herr Kachelmann, von dem ich keine hohe Meinung habe”? Darf man über Wut, Emotionen und Meinungen nicht mehr sprechen, weil es von den Gerichten  schadenersatzfähig gemacht wird?

Und schließlich: Wo sollte der Schaden sein, wenn Savas auf Konzerten fern aller Kachelmann-Physis schimpft und zetert, beleidigt oder tobt?

Über jemanden von der Prominenz und Medienpräsenz Kachelmanns werden mehr Menschen als nur Kool Savaz fäkalsprachlich geredet haben. Das muss auch öffentlich möglich sein – und im Rahmen eines Kunstvortrags schon dreimal.

(Timo Rieg)

Andere Meinungen:

Fritz Pieper sieht auf Telemedicus kein Problem mit dem Urteil. (“Das LG Berlin hatte bei solch eindeutigen Äußerungen wenig Spielraum.”)

Siehe zum Thema “Beleidungsfreiheit auch:

Wahrheit und Satire (Spiegel-Forum)

Korrektur

RA Markus Kompa schreibt: “Ein Pöbel-Rapper bedachte in einem Werk der Tonkunst einen Meteorologen mit einem Fäkalausdruck.” Wie oben ausgeführt handelte es sich gerade nicht um ein “Werk der Tonkunst”.

Update:

Nicht erst mit dem Freispruch Kachelmanns musste man konstatieren, dass viele Nachrichtenmedien in dem Fall keine glückliche Rolle gespielt haben. Auch die weitere Berichterstattung (z.B. von Kachelmanns Schadensersatzprozessen) ist in vielen Fällen unangemessen. Jörg Kachelmann ist sicherlich übel mitgespielt worden. Das ändert aber (gerade) nichts daran, dass es eine uneingeschränkte Meinungsäußerungsfreiheit braucht und eben jeder auch ganz anderer Ansicht über Kachelmann sein darf.

8 Gedanken zu „Beleidigungsfreiheit ist ein Grundrecht

  1. Rolf Schälike

    Einen Polizisten mit Du anreden, wird von den Gerichten als Beleidigung gewertet. Außer bei Dieter Bohlen. Dem hat es das Gericht erlaubt. Er redet ja jeden mit Du an.

    “Bulle” ist inzwischen wohl keine Beleidigung mehr.

    Rapper Kool Savas wollte Kachelmann bestimmt nicht beleidigen. Ansonsten hätte er ja keine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung abgegeben. Er ist einfach von der mittelalterlichen Denke von Mauck reingelegt worden.

    Wie mittelalterlich die höheren Instanzen noch urteilen, werden wir vielleicht erleben.

    Man kann auch einfach warten, bis die Inquisitoren durch modernere, dem Leben und der Kunst näher stehende ersetzt werden.

  2. Wolfgang Schäfer

    Was an diesem Artikel verwundert ist die Selbstverständlichkeit, mit der der Schreiber wortreich die Beleidigungen als Bestandteil eines künstlerischen Auftritts zu rechtfertigen versucht. Einfach nur lächerlich.

  3. Timo Rieg

    Mit dem lächerlich ist das so eine Sache, Herr Schäfer. Muss eher ein Verbot oder ein Nicht-Verbot gerechtfertigt werden? Es sind ja willkürliche Grenzen, die hier juristisch gezogen werden (wie auch in anderen Bereichen, etwa zur Pornographie).
    Wir sind da eben grundlegend unterschiedlicher Auffassung. Ich sehe nicht, was gegen eine absolute Wortwahlfreiheit einzuwenden sein sollte – vor allem angesichts der Probleme, die mit jeder Einschränkung dieser Freiheit einhergehen. Das eine ist beleidigend, das andere sexistisch, das nächste wehrkraftzersetzend, volksverhetzend, blasphemisch, staatsgefährdend… (Und da reden wir nicht über West-Neuguinea…)

  4. Volker Diehl

    Was ist eine Beleidigung ? Wer bestimmt das ?
    Also ich finde es einen Hohn wenn ich auf meinem Bankauszug lesen muß “Herzlichen Dank für ihre Rundfunkgebühr ihre GEZ ” schließlich zahle ich nicht freiwillig (und höre kein Radio, Fernsehen hab ich eh nicht).
    Einfache Folgerung: Ein halbwegs intelligenter Mensch sollte kreativ genug sein einen anderen halbwegs intelligenten Menschen zu beleidigen ohne das dies von einem Gericht nachgewiesen werden kann. Menschen die zu dumm sind meine Beleidigungen zu verstehen sind selbst Schuld. Gelernt habe ich das bei Berthold Brecht “Die 7 Schwierigkeiten die Wahrheit zu schreiben” und einen herzlichen Dank meinem Deutschlehrer …

  5. Helgoländer Vorbote Beitragsautor

    @V. Diehl: Gemeint ist evtl. Brechts “Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit”?

  6. tokchii

    Ich persönlich war wegen “Arschloch” sagen schon im Gefängnis.
    Im Grunde kommt es in solchen Fällen darauf an, wen man so nennt. Steht “das Arschloch” hierarchisch über demjenigigen, der seine Ansicht offen kundtut, und ist “das Arschloch” tatsächlich eines und reicht deswegen eine Anzeige ein, kommt es zur Verurteilung.
    In meinem Fall, ohne das ich dazu je gehört wurde. “Das Arschloch” war Polizist.

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