“Sex-Schwein gehört nicht ins Wortgefängnis

Das Bildblog widmete sich heute mal wieder seinem zweiten Lieblingsthema – dem Schutz des so genannten Persönlichkeitsrechts. Heutiger Verstoß: die BILD-Zeitungs-Überschrift “Sex-Schwein (19) vergewaltigt Schüler (8) im Wald”.
Okay, ganz korrekt müsste es “Mutmaßliches Sex-Schwein” heißen, aber in einer Überschrift darf man das auch verknappen. “Schwein” ist jedenfalls für den Tatvorwurf wahrlich noch eine Schmeichelei. Carl von Ossietzky musste sich vor Gericht dafür verantworten, Tucholskys Satz “Soldaten sind Mörder” veröffentlicht zu haben – und bis heute sollte dieses damals weit mehr als heute unstrittige Veröffentlichungsrecht eine Leitplanke für das Verständnis von Meinungsäußerungsfreiheit bilden. Jemanden als Schwein zu bezeichnen – egal, ob es so naheliegend ist wie im kritisierten BILD-Fall oder nicht – muss ohne Wenn und Aber unter die Meinungsäußerungsfreiheit fallen. Dass der Presserat dies bisweilen anders sieht, ändert daran nichts, ist aber eine natürlich ebenfalls statthafte, vielleicht  sogar hilfreiche Meinungsäußerung.

9 Gedanken zu „“Sex-Schwein gehört nicht ins Wortgefängnis

  1. ChiefAlex

    Der Vergleich ist unsachlich. Wenn die Überschrift lauten würde “Alle Vergewaltiger sind Schweine!” wäre es Meinungsfreiheit.
    Man darf auch nicht die Parole verbreiten “Soldat xy ist ein Mörder!”. Die Aussage “Soldaten sind Mörder” ist erlaubt, weil “Soldaten” eine große, undifferenzierte Personengruppe betreffen, und eine solche nicht beleidigt werden kann.
    Interessant ist der Wikipedia-Artikel zu “Soldaten sind .Mörder”

    Da hätte ich von diesem Blog doch mehr erwartet 🙂

    SpKr / Tg: Du argumentierst aus Sicht des BVerfG. Die Position ist bekannt. Wenn aber der eine den anderen umbringt, dann muss man den einen – ungeachtet der Rechtsprechung, die ja auch nur eine Meinung darstellt – Mörder nennen dürfen.
    Dass Kurt Tucholsky zum Prozess 1932 seinem Anwalt Alfred Apfel schrieb, es habe sich bei seinem Satz ausschließlich “um eine ganz allgemeine pazifistische Forderung gehandelt, wie sie insbesondere auch von der katholischen Kirche immer wieder erhoben” werde, weiß ich wohl – aber bitte: der Mannn war Jurist und gleichwohl von gehörigem Verstand. Natürlich hat er sich hier geduckt (für Ossietzky, muss man sagen!). Tucholsky hat oft sehr konkret gesprochen, etwa 1920: “Es darf also ausgesprochen werden: In der deutschen Militärmacht dienen Mörder.”
    Sehr schön übrigens 1925: “Wie lange noch lassen sich Mütter die Söhne, Frauen die Geliebten, Kinder den Vater abschießen für eine Sache, die nicht die Kosten für den Mobilmachungsbefehl wert ist? Wie lange noch wird Mord sanktioniert [hier im Sinne von gebilligt], wenn der Mörder sich nur vorher eine Berufskleidung anzieht, seine Kanonen grau anstreicht, seine Gasbomben von der Kirche einsegnen läßt und sich überhaupt gebärdet wie der Statist einer Wagner-Oper?” In “Les Abattoirs” (1925) bezeichnet er die Metzger als Mörder. Aber gut, das alles ist ein anderes Thema (zu Kinderfickern und ihrer juristischen Behandlung hatte Tucholsky übrigens auch eine Meinung).

    Dass sich meine Auffassung von Meinungsäußerungsfreiheit nicht mit der herrschenden Rechtsprechung deckt, ist mir bekannt – nur deshalb schreibe ich ja zu dem Thema. Wenn bei den Juristen bereits alles in guten Händen wäre, würde sich dies erübrigen.

  2. Ralf

    Der Vergleich mit “Soldaten sind Mörder” würde greifen, wenn die Bild auch einen deutschen Oberst Klein, der Kinder lebendig verbrennt, als “das Massaker-Monster” bezeichnen würde.

    SpKr / Tg: Um das klar zu stellen – ich habe mit keinem Wort die BILD-Berichterstattung (insgesamt wie zu dem Fall) als vorbildlich gelobt. Es geht mir ausschließlich um das Recht, diese Überschrift verwenden zu dürfen. Und in der Tat hätte es zu der Tanklaster-Bombardierung auch meinungsfreudigere Überschriften in der Berichterstattung geben können. Freilich sind das dann immer nur Momentaufnahmen – dafür sind schließlich Meinungen da.

  3. Michael

    Das Problem ist hier wohl eher, dass eine Vorverurteilung des Angeklagten stattfindet.

    Sicherlich, wenn sich die Anschuldigungen als wahr herausstellen haette ich wenig Probleme mit der (doch sehr Reisserischen) Aufmachung der Bildzeitung, aber derzeit ist es ja eher so das die Bild (mal wieder) den Eindruck erweckt das der Angeklagte es tatsaechlich getan hat.

    Das Problem hier ist ganz einfach die Vorverurteilung, das hat wenig mit Meinungsfreiheit per-se zu tuen sondern sehr viel mehr mit dem Ablauf des Prozesses.

    Und Uebrigens: Meinungsfreiheit deckt Beleidigungen nicht ab (meines wisses).

    Aber Hut ab fuer die Bild, die wissen schon genau wie sie Leute emotional aufwaermen koennen.

    SpKr / Tg: Die Sorge um eine Vorverurteilung ist berechtigt, wenn wir keine Meinungsvielfalt haben, im Bezug auf das Mediensystem also die Möglichkeit, dass verschiedene Meinungen publiziert werden. Gerade im Hinblick auf Gerichtsverhandlungen ist es doch wichtig, dass sich Interessierte jederzeit eine Meinung bilden und diese äußern. Der Urteilsspruch ist doch – egal in welcher Instanz – nicht zwingend der Weisheit letzter Schluss. Und niemand wird glauben, dass sich Berufs- und ggf. Schöffenrichter nicht vom ersten Moment an fortlaufend eine Meinung bilden, hergeleitet von Akten, Auftreten der Beteiligten etc. Da immerhin die Hauptverhandlung bei uns öffentlich stattfinden muss, gehört zu einem fairen Verfahren auch die fortlaufende öffentliche Meinungsbildung – schließlich entscheiden Richter ja nur stellvertretend für den Souverän. Die Meinung der BILD ist da ja zum Glück nicht die einzige, die öffentlich wahrnehmbar ist.

  4. erforderlin

    Die Frage ist doch vielmehr ob sich die Äußerung gegen eine Mehrheit richtet (Soldaten) oder gegen einen einzelnen (der Fall hier). Eine Gruppe also Soldaten/Bullen (gerade ACAB Fall) dat jeht schon. Aber nen einzelnen schikanieren, beleidigen ist nicht erlaubt.

    Zudem kann man Soldaten sind Mörder als Tatsache festhalten. Dieser Mann ist allerdings ein Individuum der Art Homo sapiens und keineswegs ein Sus scrofa. (Man möge mir das fehlen der Kursivschrift verzeihen.)

  5. Nagi

    “Okay, ganz korrekt müsste es “Mutmaßliches Sex-Schwein” heißen […]”

    Um überhaupt korrekt sein zu können!

    Aber, Schwein finde ich auch Okay, und der Argumentation das es keinen Unterschied machen kann ob Gruppe oder Individuum zur Diskussion stehen ist völlig logisch. Ein Gruppe besteht aus Individuen die – darum geht es doch bei einer Gruppe – in der Gruppe alle eingeschlossen sind.

    Bisschen Off-Topic:
    Doch was ist bitteschön ein Sex-Schwein? Jemand der geile Sachen im Bett macht? Ich bin versucht der Bild einfach zu widersprechen das jemand der anderen Menschen Gewalt antut um die Defizite seiner Existenz auszugleichen Sex macht.

    Aber je mehr ich darüber nachdenke umso mehr wird mir klar das ich selbst nicht weiss was so ein jemand eigentlich macht. Aber es ist mit dem Wort Sex einfach nicht richtig beschrieben. Vergewaltiger-Schwein vielleicht. Klingt doof und doppeltgemoppelt. Da merkt man sofort das es der Bild eigentlich nur darum geht das Wort Sex zu verwenden. “19jähriger soll 8jährigen vergewaltigt haben” klingt für die wohl langweilig. Nicht so schön prickelnd.

  6. Daniel A.

    Gerichtliche Urteile sind auch nur Meinungen? Naja, das geht aber von meiner Auffassung etwas weg. Nicht nur, weil jeder eine Meinung haben und äußern, aber nicht jeder ein gerichtliches Urteil fällen darf: Im Gegensatz zu Meinungen sind gerichtliche Urteile irgendwann rechtskräftig und dadurch verbindlich.
    “Die Sorge um eine Vorverurteilung ist berechtigt, wenn wir keine Meinungsvielfalt haben, im Bezug auf das Mediensystem also die Möglichkeit, dass verschiedene Meinungen publiziert werden.” Aha, mit dieser Argumentation können wir alle publizistischen Grundsätze über Bord werfen – frei nach dem Motto “irgendjemand in diesem außenpluralistischen Mediensystem wird’s schon richten…”.

  7. Robert

    Als jemand als “Schwein” zu bezeichnen, fällt für mich unter den Tatbestand der Beleidigung und widerspricht somit auch dem recht auf Menschenwürde. Da wird zum Glück (noch) in einem Rechtsstaat leben, steht auch einem mutmaßlichen oder Verurteilten Vergewaltiger dieses Recht zu. Auch wenn das einige hier nicht verstehen, aber Menschenrechte kann man jemanden nicht aberkennen, auch wenn dieser etwas schlimmes getan haben sollte.

    SpKr/Tg: Die Menschenwürde soll ja auch niemandem abgesprochen werden. Es ist allerdings ein fragwürdiges Konstrukt, in einer Meinungsäußerung eine Verletzung der Menschenwürde zu sehen. Dazu nur ganz knapp zwei Dinge: a) Über die Wirkung einer Beleidigung entscheidet ausschließlich der mit der Beleidigung Bezeichnete. Das lernt man doch schon im Kindergarten. b) Dem Staat (“Gesetzgeber”) geht es mit der Strafbarkeit der Beleidigung aber gar nicht um Menschenwürde, sondern um Ordnungspolitik. Mit der völlig verquasten Idee von “Ehre” soll das Volk auf brav erzogen werden.

  8. Daniel A.

    a) Sobald Beleidigungen und Meinungsäußerungen über das Kindergartenniveau hinaus gehen (z.B. indem sie in einem reichweitenstarken Medium veröffentlicht werden), hilft das Kindergartenwissen nicht mehr weiter.
    b) Ordnungspolitik soll das Zusammenleben in der Gesellschaft ordnen. Gesetze werden deshalb verfasst, damit ein von Subjekt unabhängiger Maßstab zur Verfügung steht.

    Bislang hab ich dieses Blog eigentlich ganz gerne gelesen… aber irgendwie rutscht es mit diesem Post auf Kindergarten-Niveau ab…

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