Was will das “Internet-Manifest”?

Es wird so viel behauptet den lieben langen Tag – allein die Lehrerbehauptungen vom Vormittag bekommen wir beim Mittagessen gar nicht alle durchgekaut – dass es auf 17 weitere Behauptungen auch nicht ankommt. Und doch werden diese 17 Behauptungen Thema in einer bestimmten Kulturnische sein, es wird sich ein kleines Heer von”Jawohl!”-Rufern einfinden, es werden einige meckernd am Rand stehen, und am Ort des Geschehens wird man den Eindruck haben dürfen, dass gerade gesellschaftspolitisch Relevantes geschieht, was nicht zuletzt der mediale Niederschlag belegen wird.

Denn die 17 Behauptungen stammen von Angehörigen einer Internetdebatten-Elite. Sie können sicher sein, die Fachdebatte weiter mitzubestimmen, trotzdem sich “jeder Bürger seine individuellen Nachrichtenfilter” einrichtet.

Das ist auch das Grundproblem bei den als “Internet-Manifest” titulierten Behauptungen: es ist kein Manifest von Hungernden und Dürstenden, von Menschen, die für sich Veränderung wollen, wie das bei allen wirkmächtigen Manifesten der Fall war, sondern es sind die Klugheiten von Satten, von Wissenden. Wem soll damit warum etwas gesagt werden?

“Wie Journalismus heute funktioniert” will das Internet-Manifests umreißen. Es ist ein legitimes Unterfangen, dazu nicht den ungezählten Dissertationen der letzten Jahre eine weitere hinzuzufügen, sondern einfach 17 Behauptungen in die Welt zu setzen. Nur:  Mit welcher Intention?

Einige Forderungen aus den Internetdebatten der letzten Monate sind wiederzuerkennen: man ist gegen Seitensperrungen, gegen ein Leistungsschutzrecht der Verlage. Die alte, schon immer langweilende Debatte um die journalistischen Leistungen von Bloggern scheint durch. Und den Menschen von Papiermedien muss man noch ganz viel Nachhilfe erteilen.

Alle 17 Behauptungen sind ohne Zweifel diskussionswürdig. Aber wer soll sie mit wem warum diskutieren? Medienunternehmer, Journalisten, Blogger, Community-User etc. stellen ihre Ansprüche ans Web, haben Erwartungen, Absichten. Einem gemeinsamen Manifest müsste der Dialog vorausgehen, nicht folgen. Dazu drei Beispiele.

Die Autoren – Markus Beckedahl, Mercedes Bunz, Julius Endert, Johnny Haeusler, Thomas Knüwer, Sascha Lobo, Robin Meyer-Lucht, Wolfgang Michal, Stefan Niggemeier, Kathrin Passig, Janko Röttgers, Peter Schink, Mario Sixtus, Peter Stawowy, Fiete Stegers – schreiben:

5. Das Internet ist der Sieg der Information.
Bisher ordneten, erzwungen durch die unzulängliche Technologie, Institutionen wie Medienhäuser, Forschungsstellen oder öffentliche Einrichtungen die Informationen der Welt. Nun richtet sich jeder Bürger seine individuellen Nachrichtenfilter ein, während Suchmaschinen Informationsmengen in nie gekanntem Umfang erschließen. Der einzelne Mensch kann sich so gut informieren wie nie zuvor.

Das ist sicherlich alles richtig – sagt aber zum Journalismus noch nicht viel. Journalismus beschäftigt sich per definitionem mit den Dingen, die noch nicht im Netz sind oder noch nicht so verknüpft sind, wie sie der Journalismus dann verknüpft. Dazu und wie das alles weitergehen soll (auch außerhalb des Webs), gibt es sehr viel zu sagen – im Manifest steht dazu nichts.

10. Die neue Pressefreiheit heißt Meinungsfreiheit.
Artikel 5 des Grundgesetzes konstituiert kein Schutzrecht für Berufsstände oder technisch tradierte Geschäftsmodelle. Das Internet hebt die technologischen Grenzen zwischen Amateur und Profi auf. Deshalb muss das Privileg der Pressefreiheit für jeden gelten, der zur Erfüllung der journalistischen Aufgaben beitragen kann. Qualitativ zu unterscheiden ist nicht zwischen bezahltem und unbezahltem, sondern zwischen gutem und schlechtem Journalismus.

Bisher ist die Presse- und Rundfunkfreiheit sehr wohl ein Berufsprivileg. Der Auskunftsanspruch der Presse ist etwas anderes als eine Auskunft nach dem  Informationsfreiheitsgesetz (wo es dies überhaupt gibt). Dass es neben bezahlten Journalisten auch unbezahlte gibt, ist keine Innovation des Internets, und es gab schon immer Bereiche, wo überhaupt nur “Amateure” agieren konnten, etwa bei Schülerzeitungen.
Es besteht ganz erheblicher medienrechtlicher Entwicklungsbedarf – aber die Abschaffung der bisherigen Pressefreiheit (die etwas ganz anderes als die Meinungsäußerungsfreiheit ist!) gehört sicherlich nicht dazu. Und sollte mit dem letzten Satz so etwa wie ein Journalismus-TÜV intendiert sein, bei dem sich jeder seine Plakette für geprüften Gutjournalismus abholen kann, fehlt mir ein Link zur entsprechenden Debatte, um es nicht einfach für ganz großen Blödsinn zu halten, zumal die Autoren ausgerechnet zur Qualität gar nichts zu sagen haben:

16. Qualität bleibt die wichtigste Qualität.
Das Internet entlarvt gleichförmige Massenware. Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist. Die Ansprüche der Nutzer sind gestiegen. Der Journalismus muss sie erfüllen und seinen oft formulierten Grundsätzen treu bleiben.

Wer die Fachliteratur zur journalistischen Qualität der letzten 20 Jahre kennt, weiß, dass es kaum Einigkeit gibt. Das Manifest macht nun im bekannten Zirkelschluss den Erfolg selbst zum Qualitätskriterium.  Für den Journalismus ist die Frage, was seine Qualität ausmacht und wie man sie misst, von größter Bedeutung. Diese Behauptung Nr. 16 trägt dazu leider gar nichts bei.

Update 09.09.09 / 11.09.09:
* Es gibt neben einer braven englischen Übersetzung auch eine englische Kurzfassung (Beispiel zu Nr. 11: “Quantity is an excellent thing. Make lots of things and put them on the internet.”)
* Klassische Redaktionsarbeit wäre jetzt bei der Gestaltung der Diskussion gefragt. Denn diese verläuft an verschiedenen Orten je recht selbständig. Die offizielle Manifest-Seite zählt im Moment 245 Kommentare, bei Stefan Niggemeier stehen 377,  bei Sascha Lobo 41 usw.
* Lesenswerte Rezension: Julia Seeliger (taz.de)
* Überblick beim Altpapier
* Die FR-Online über Blog-Eliten

Update 11.09.09
Stefan Niggemeier erklärt ausführlich seine Intention für das Manifest.

5 Gedanken zu „Was will das “Internet-Manifest”?

  1. @derhensch

    Ein Manifest der Satten?! Vielleicht, aber neu ist das nicht. Das wohl berühmteste Manifest, das kommunistische, wurden nicht von hungrigen ausgebeuteten Arbeitern geschrieben, sondern von einem Journalisten und einem Bourgeois.

  2. hansb

    > Wer die Fachliteratur zur journalistischen Qualität der letzten 20 Jahre kennt, weiß, dass es kaum Einigkeit gibt.

    Das ist kein Zirkelschluss. Genau deswegen, weil es keine Einigkeit gibt, kann die Vielheit des Publikums Qualiät angemessen belohnen, und zwar für die verschiedenen Segmente separat. Das Marktprinzip eben.

  3. Pingback: Als hätten wir nicht genug Manifeste

  4. Tg

    @derhensch: Hunger und Durst sind natürlich metaphorisch gemeint. “Selig, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit …”

    @hansb: Um zu sehen, was der Markt macht, brauchen wir keine Qualitätsdebatte. Möglich, dass Qualität ankommt. Gerade das Bildblog hat uns aber doch jetzt über Jahre gezeigt, dass Markterfolg nicht mit journalistischer Qualität gleichzusetzen ist.
    Qualität ist, was Erfolg hat, und was Erfolg hat, ist Qualität – dieser Kreis hilft nicht weiter.

  5. Pingback: Von Manifesten und der Entdeckung des Menschen | Cluetrain PR

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.