LKW-Krieg: Der Osten schlägt zurück

Das Grundproblem ist vielleicht die Ressortierung. Die Idee war ja mal gut: Neigungsangebote zu schaffen für Leser und Autoren. Da sollte Sachverstand zusammenkommen.

Olympia etwa: Eigentlich unzweifelhaft Sport-Ressort. Aber dann kommen die Proteste, für sowas Komisches sind Sportredakteure nicht gemacht, daher ist die Auslands-Politik zuständig. Schon bald äußern sich aber auch deutsche Politiker so deutlich, dass Olympia im Deutschland-Ressort bearbeitet werden muss. Wenn sich dann allerdings ausgewiesene Nicht-Politiker verlautbaren – Musiker, Maler, Schauspieler gar – ist ohne Zweifel das Panorama, das Vermischte zuständig. Und bei all dem Rummel erwacht eventuell sogar das Wirtschafts-Ressort und fragt, wer an dem ganzen eigentlich verdient – und wer die Zeche zahlt. Das ganze angereichert mit Korrespondentenberichten von überall auf der Welt, wo Korrespondenten verfügbar sind und das olympische Feuer vorbei kommt oder eben gerade nicht. Als Sahnehäubchen kommentiert die Chefredaktion ein wenig – am Ende haben dann alle etwas “gesagt” – hintergrundberichtet, pressekonferenzverlautbart – wofür eines der Lieblingswörter des SPIEGEL steht: Kakophonie.

Wie kakophon (oder kakophophil) der Spiegel selbst ist, wissen wir treuen Leser natürlich. Es prädestiniert den Spiegel für jedes – jedes! – WG-Klo und macht ihn zum Orakel von Delphi der Gegenwart.

Aber manchmal tut es auch richtig weh, wenn man sein Leserohr gerade an einer völlig schrägen Stimme hat. Im Spiegel 21/2008 heißt sie “Ansturm aus dem Osten” (S.40-42) und ist wahrlich Katastrophenjournalismus (und umgekehrt).

Zu unserem Nachteil hat sich Guido Kleinhubbert leider nicht überlegt, was er uns mitteilen will und stattdessen munter drauf los geschrieben mit der einzigen Maßgabe, Millimetergenau auf Seite 42 rechts unten zu enden. Im Lokalteilduktus: Pünktlich auf die letzte Zeile endet der Artikel.

“Die Zahl der Lastwagen auf Deutschlands Straßen hat sich seit dem Mauerfall verdoppelt – und sie soll sich in den kommenden jahren noch einmal fast verdoppeln. Vor allem die Transitstrecken kollabieren, Staus und Unfälle nehmen zu, die Kosten exploiderien.”

Schon der Teaser lässt uns fragen: “Ja und?” Ist schließlich jedem auch ohne Zeitschriftenlesegenuss empirisch als Bildung widerfahren, im kollektiven Gegenwarts-Gedächtnis verankert – was machen wir nu’ damit?

Nix. Die Welt in ihrem Lauf, hält selbst der Spiegel nicht auf, aber er macht den Sportreporter dabei, und der kommentiert:

“Beim Versuch, den Warenverkehr zu reduzieren oder zu verlagern, sind bisher alle Bundesregierungen gescheitert.”

Was als sicheres Indiz gelten soll, dass es so bleibt. Chaos normal also. Waren werden rollend auf der Straße gelagert, bis 2025 wird sich die Zahl der LKW nochmal verdoppeln. Eine Politik findet nicht statt, kann gar nicht stattfinden. Findet der Spiegel – auch sonst gerne, z.B. beim Haushalt: der ist ganz wesentlich gottgegeben (“Etwa 80 Prozent dieses Geldes sind fest gebunden.”)

Was sagt uns der Artikel? Dass da ein “Ansturm aus dem Osten” angreift, offenbar ohne jeden Rückzug (Einweg-LKW) – ein merkwürdiger Warenfluss für den “Exportweltmeister Deutschland”.
Es gibt Unfälle – “schon jeder fünfte Autobahntote bundesweit geht auf das Konto des Schwerlastverkehrs”. Immerhin – heute ja eher selten: ein Habenkonto.
Und kaputte Autobahnen (“Ein einziger Brummi belastet die Straße etwa so stark wie 160 000 Pkw.”) und deshalb Baustellen und deshalb Unfälle.
Und doch wird das alles nicht nur so bleiben, sondern noch immer doller werden, denn: “Das Problem sei, dass es keine ernsthafte Alternative zum Lastwagen gibt”.

Zwar meint ein Experte der Autobahnpolizei Braunschweig, “ein Tempolimit” werde immer wichtiger (wohingegen es für den Spiegel nur kuriose Ideologie ist).

Aber auch da will die Politik ja nicht ran – zum Glück gibt’s ja keine Mehrheit fürs Tempolimit.

Bleibt immer noch die Frage, für welche Botschaft Guido Kleinhubbert uns Doofen die Zeit geklaut hat.

Natürlich gibt es “Alternativen”. 9/11 hat gezeigt, wie Politik aus Monstern (in dem Fall war’s die Freiheit) Hackfleisch macht, wenn sie nur will. Wären die Terroristen nicht mit dem Flugzeug, sondern mit einem LKW in die Twin Tower gerast, wäre in Deutschland längst der gesamte “Anstum aus dem Osten” im Castor eingepfercht auf der Schiene gesichert und kein 44-Tonner würde mehr auch nur ein deutsches Dorf durchfahren, und wenn der Pilot seine geladenen Paletten nackend mit eigener Körperkraft ziehen müsste.
Aber die Frage nach einer Verkehrspolitik, nach Steuerung statt bezahltem Publikum, stellt der Spiegel nicht, und darum fehlten in Kleinhubberts Beitrag auch so viele Probleme des LKW-Verkehrs wie auch jeder gescheite Gedanke dazu.

LKW fahren auf der Autobahn, ja, zum Teil. Sie fahren aber auch – dank Maut vermehrt – auf Bundesstraßen. Sie durchfahren Ortschaft um Ortschaft, vernichten damit Grundstückswerte (quasi jedes Haus an einer Bundesstraße bekommt man ja nachgeschmissen, aber wer nicht taub und blind ist, baut lieber auf einem legehennenlebensraumgroßen Bausparvertrag sein Eigenheim), sie zerschneiden Ortsteile, lassen Eltern ihre Kinder auch wenige Meter mit dem sicheren Auto fahren statt zu Fuß gehen, gehen kurz gesagt jedem, der nicht in einer Fahrerkabine sitzt, höchstgewaltig auf den Keks.

“Ansturm aus dem Osten” sind drei Seiten Nichts. ARD-Wetterbericht vom letzten Monat auf Chinesisch. Schmerzhaft sinnfrei.

Der Straßengüterverkehr ist ein Mega-Thema. Wenn es wirklich so sein sollte, dass der Kollaps unausweichlich ist, wie der Spiegel es recherchiert hat – dann nimmt es erneut nicht Wunder, wie wenig Applaus das System erntet, welches sich westliche Demokratie nennt und gerade beim Spiegel als Daily Soap im Wochenrhythmus strahlt.

Als einen von vielen möglichen weiteren Aspekten verweisen wir auf den Kommentar des Allianz pro Schiene-Geschäftsführers Dirk Flege zum Spiegel-Artikel:

“Unbeirrt behauptet die Straßenlobby, dass es für das wachsende Verkehrsaufkommen keinen anderen Ausweg als weiteren Straßenbau gäbe. Diese Behauptungen gehen an der Realität vorbei. Sie verkennen die Entwicklungsmöglichkeiten umweltfreundlicherer Verkehrsträger wie dem Binnenschiff und der Schiene. Der Schienengüterverkehr hat als einziger Verkehrsträger in den vergangenen fünf Jahren seinen Marktanteil in puncto Transportleistung (Menge transportierter Güter mulitpliziert mit der Entfernung) kontinuierlich gesteigert. Derzeit liegt der Marktanteil der Schiene in Deutschland im Güterverkehr bei 17,32 Prozent. In den USA sind es 38,3 Prozent, in Australien sogar 39,6 Prozent. Die Allianz pro Schiene hält einen Marktanteil des Schienengüterverkehrs von 25 Prozent bis zum Jahr 2020 für durchaus realistisch. Was wir brauchen, sind verkehrspolitische Visionen und entsprechende politische Rahmenbedingungen, um mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Eine Haltung, die den wachsenden Straßenverkehr als von der Natur gegeben ansieht und realistische Alternativ-Szenarien nicht in Betracht zieht, bringt uns nicht weiter, sondern wird dazu führen, dass wir geradewegs in der verkehrs- und klimapolitischen Sackgasse landen.”

2 Gedanken zu „LKW-Krieg: Der Osten schlägt zurück

  1. Georg

    Ob wir Deutschland mit Australien oder den USA vergleichen sollten? Interessant wäre eine Auswertung des Warenverkehrs über unter 1000 km, diesseits des Teichs ist das nämlich die wesentliche Größenordnung…

  2. Torsten

    Und was ändert das jetzt an der Kernaussage des Artikels? Der Artikel hat glaubhaft und plausibel dargestellt, dass der LKW-Verkehr weiter zunimmt. Ob er das nun auf der Autobahn oder der Landstraße tut, ist doch unerheblich, das Problem bleibt dasselbe.

    Und die Quellen für eure Gegendarstellungen sind doch sehr zweifelhaft.
    “ein Experte der Autobahnpolizei Braunschweig”? Wer ist dieser Mann? Sicher, dass er seriös ist? Bloß, weil er sich “Experte” nennt, ist er nicht unfehlbar. Und gerade bei so kontroversen themen finden sich immer Experten, die unterschiedlicher Meinung sind.
    Und “Allianz Pro Schiene” scheint eine Organisation zu sein, die sich eben einzig und allein für mehr Verkehr auf der Schiene einsetzt. Und Organisationen, die nur ein Ziel verfolgen, neigen eben schon mal dazu, für dieses Ziel Zahlen und Fakten zu schönen. Deshalb wäre es das mindeste gewesen, zu hinterfragen ob die von denen genannten Zahlen auch realistisch sind oder sich nicht mit anderen Quellen wiedersprechen.

    Bloß, weil ihr Quellen findet, die etwas anderes sagen als ein Spiegel-Artikel, sind diese noch lange nicht seriös und richtig. Zumindest müssen sie genauso hinterfragt werden wie die Zahlen des Spiegel.

    Und spart euch doch bitte Formulierungen wie “für welche Botschaft Guido Kleinhubbert uns Doofen die Zeit geklaut hat” oder ““Ansturm aus dem Osten” sind drei Seiten Nichts. ARD-Wetterbericht vom letzten Monat auf Chinesisch. Schmerzhaft sinnfrei.” Sowas ist dümmliche, voreingenommene Polemik, die in einem Artikel, der handwerkliche objektive Kritik betreiben will, nichts verloren hat.
    Genauso wie dieser völlig unpassende 9/11-Vergleich. Dass Verkehrs-Politik und Sicherheits-Politik zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind, dürfte auch jedem einleuchten.

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