Der SPIEGEL und die Freizeit-Fotos von Auschwitz

Ein Gastbeitrag von Albrecht Kolthoff (Redaktion redok)

Ein Fotoalbum vom Auschwitz-Personal bei heiterer Freizeitgestaltung taucht auf und wird veröffentlicht. Beim "Deutschen Nachrichten-Magazin" DER SPIEGEL aus Hamburg wird daraus eine Attacke auf die Alliierten.

Karl Höcker war Adjutant des Lagerkommandanten in Auschwitz, und er fotografierte gern. SS-Männer und -Frauen hatte er bei der Erholung vom Massenmorden aufgenommen und 116 Bilder in einem Album gesammelt. Höcker wurde im August 1965 im Frankfurter Auschwitz-Prozess zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt und 1989 vom Landgericht Bielefeld wegen seiner Tätigkeit im Lager Majdanek zu weiteren vier Jahren Haft.

Jetzt ist dieses Album nach Jahrzehnten aufgetaucht und wird vom US Holocaust Memorial Museum ausgestellt. Ein US-Offizier hatte das Album 1946 in einer Frankfurter Wohnung entdeckt und erst im Dezember 2006 an das Museum übergeben. Der frühere Geheimdienstler wollte anonym bleiben; er verstarb mit weit über neunzig Jahren in diesem Sommer.

Daraus kann man journalistisch vielerlei machen; die meisten Veröffentlichungen befassen sich mit Stichworten wie der "Banalität des Bösen" oder setzten es in Kontrast zum bereits seit längerer Zeit bekannten "Auschwitz-Album" mit Fotos von der Selektion ungarischer Juden an der Rampe vor den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau.

Einen anderen Akzent setzt der morgen erscheinende SPIEGEL (Untertitel: “Das Deutsche Nachrichten-Magazin”). Autor Klaus Wiegrefe nimmt sich des Themas an und fragt bereits im zweiten Satz:

Aber weshalb hat ein US-Geheimdienstler die Bilder jahrelang zurückgehalten?" Und dann ergibt sich für den Spiegel-Redakteur ein weiteres Verdachtsmoment: "Obwohl der Mann verstorben ist, gibt das Museum seine Identität nicht preis

.

Das kann ja nur Schlimmes bedeuten:

Sollte das zutreffen, stellt sich die Frage, warum er die Fotosammlung nicht den für Strafverfolgung zuständigen Behörden der U. S. Army übergab. Wollte das CIC, welches im aufkommenden Kalten Krieg immer wieder mit SS-Schergen kooperiert hat, bestimmte Täter schützen? Oder ist der Umgang mit dem Album nur ein weiteres Beispiel für das zunehmende Desinteresse, mit dem die Alliierten die Verfolgung von NS-Verbrechern betrieben?

Und so wird die Sichtbarmachung der Nazi-Mörder zur Attacke gegen “die Alliierten” genutzt. Unerwähnt bleibt dagegen im SPIEGEL, dass eben jener Karl Höcker in seinem Heimatort im ostwestfälischen Engershausen nach 1946 ganz unauffällig und normal als Bankangestellter tätig war, ja sogar nach Verbüßung seiner ersten Haft aufgrund des Auschwitz-Urteils wieder bei seiner alten Bank eingestellt wurde. Über dieses “Die Mörder sind unter uns” wird beim SPIEGEL geschwiegen; um das zu erfahren, muss man dann beispielsweise die Welt, die New York Times oder die Aller-Zeitung lesen.

In dem Artikel bezieht sich Wiegrefe ausgerechnet auf ein Bändchen der ansonsten als wissenschaftliche Fachautorin tätigen Sybille Steinbacher, das mit seinen 128 Seiten als doch eher populäre Darstellung gelten muss. Über das Buch schreibt der Rezensent Werner Renz (Fritz Bauer Institut, Frankfurt): “Im Rahmen des limitierten Umfangs und der festgelegten Darstellungsform (keine Literatur- und Quellenangaben)” habe die Autorin “eine ebenso knappe und präzise wie fundierte und gut lesbare Geschichte der Stadt Auschwitz und des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz verfasst” – allerdings mit erheblichen Fehlern behaftet: “Mit Bedauern stellt man hingegen fest, dass die Darstellung der Frankfurter Auschwitz-Prozesse Fehler aufweist. Offensichtlich hat die Autorin auf einen Blick in die Verfahrensakten verzichtet.” So findet sich in dem Bändchen eine Reihe sachlicher Fehler, angefangen bei der falschen Schreibweise gleich von fünf der Angeklagten. Diesen Blick in die Verfahrensakten hat wohl auch der SPIEGEL-Autor nicht nötig, bei dem dann auch der Freizeit-Fotograf Karl Höcker zu “Karl-Friedrich Höcker” wird.

Aber das macht nichts, wenn ein SPIEGEL-Autor Auschwitz dazu benutzen kann, den Alliierten eins auszuwischen.

Denn damit hat Wiegrefe Erfahrung. Im SPIEGEL 27/2005 (04.07.2005) ließ er sich über den Tod des Heinrich Himmler so aus:

Laut neuen Papieren, deren Echtheit nicht erwiesen ist, wurde der SS-Chef von den Engländern umgebracht.

Damit befand sich Wiegrefe im Gleichklang mit dem Holocaustleugner David Irving, der schon einen Monat zuvor geschrieben hatte: “DOCUMENTS discovered in Britain’s Public Records Office, Kew, London, confirm revisionist claims that Himmler was liquidated by the British secret service on Churchill’s orders, and did not commit suicide shortly after his capture as conformist historians have long maintained.” Im SPIEGEL wurde immerhin noch eingeschränkt:

Und wenn die Quellen echt sind, wurde Himmler vom britischen Geheimdienst liquidiert.

Diese “neuen Papiere” waren zwar nichts anderes als eine Fälschung, die von dem Briten Martin Allen unters Volk gebracht wurde (“Das Himmler-Komplott 1943-1945”, erschienen im rechtsextremen Druffel-Verlag) und seitdem landauf-landab von den üblichen Verdächtigen aus den Kreisen der “National-Zeitung” (“sensationelle Neuerscheinung”) oder der NPD als Neuschreibung der Zeitgeschichte gefeiert wird. Mit dem Machwerk fanden Allen und sein Verleger Gert Sudholt auch Aufnahme und Erwähnung im Jahresbericht 2005 des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Nur Pech für den SPIEGEL, dass zwei Tage vor dem Erscheinungsdatum des Heftes der britische Telegraph in einer Artikelserie die Fälschung der angeblich neu entdeckten Dokumente aus dem Jahre 1945 enthüllt hatte, die beispielsweise mit einem Laserdrucker hergestellt worden waren. Dass die Quellen nicht echt waren, wurde im SPIEGEL bis heute nicht klargestellt.

Nun also ein Auschwitz-Fotoalbum, dessen Echtheit nicht in Frage steht. Man muss schon ziemlich erfahren in seinem Gewerbe sein, um auch selbst daraus noch so eine Geschichte gegen die Alliierten zu machen.

2 Gedanken zu „Der SPIEGEL und die Freizeit-Fotos von Auschwitz

  1. Andi

    Gruselig. Aber das passt in die neue Linie des SPIEGEL. Preußen ist geil,…
    Aber guten Journalismus kann man von denen ja nicht mehr erwarten. Sonst würde der Matussek nicht immer davon schwärmen, wieviel Kohle die raushauen. Und raus kommt am Ende leider wieder nur bullshit.

  2. lothar

    für mich ein typisches Beispiel für sekundären antisemitismus(die deutschen werden den Juden nie verzeihen)

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