Der Spiegel wird heute 60, die Medienseiten sind voll und die ungebetenen Laudatoren sind sich einig: Der Spiegel hat nachgelassen.
Der Spiegel hat dabei seine lange währende Funktion als politisches Leitmedium verloren – und die Rolle als investigatives Flaggschiff ebenso
schreibt etwa Roderich Reifenrath in der Frankfurter Rundschau unter der Überschrift “Montags wird nicht mehr gebibbert”. Und Jürgen Emmert fasst im Tagesspiegel zusammen:
60 Jahre – und ein bisschen leise: Der „Spiegel“, früher Sturmgeschütz der Bonner Republik, sucht heute nach einer neuen Rolle
In der Süddeutschen Zeitung analysiert Klaus Harpprecht die inhaltliche Linie von Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust:
Grundhaltung: Opposition, gleichviel, wer regiert. Ein vernünftiges, wenngleich monotones Prinzip. Meinungen: viele oder keine. Technik: frappierende Detailversessenheit, mit schmissigen Anekdoten garniert, die “großen Linien” dekorieren die Texte wie die eleganten Charts der PR-Industrie. Effekt: Der Leser glaubt sich informiert.
Erich Böhme, von 1973 bis 1989 einer der beiden Spiegel-Chefredakteure, moniert im Gespräch mit dem Deutschlandradio Kultur, dass das Magazin inzwischen zu häufig auf weiche Themen ausweicht. Titelgeschichten wie etwa “Die Entdeckung der Vernunft” sehe er eher kritisch, sagte Böhme. Doch die Hauptsache sei, dass das Blatt immer noch seine Leser finde.
Im Hamburger Abendblatt spricht der letzte heute noch lebender Gründungsredakteur Leo Brawand über die veränderte politische Rolle des Spiegel:
Er hat an Durchschlagskraft eingebüßt. Seit Rudolf Augstein tot ist, fehlt auch die Galionsfigur, die dem Blatt seinen Zusammenhalt garantierte. In seine Schuhe wird keiner hineinwachsen.