SpOn baut neuen Star auf

Natürlich kann man verstehen, dass Daniel Haas gefrustet ist. Kultur-Redakteur – das ist schon sehr Banane, und dann auch noch bei einem Online-Medium, das den Bericht über die Ein-Millionste-Aida-Inszenierung bitterbös mit dokumentierter Nichtachtung abstrafen würde. Da kommt man vielleicht schon mal auf dumme Gedanken.
So wie gestern. Die Agenturmeldung war zu schön: Kurt Beck, irgendein wichtiger Parteibonze, raunt laut Wiesbadener Kurier einen protestierenden Arbeitslosen an: “Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job.” Klar, dass Politik-Journalisten darauf anspringen müssen.

Was jetzt ansteht, ist Kleines Einmaleins: die Tassen bei Beck nachzählen. Fragen, ob der Politiker tatsächlich so einfältig ist oder einfach nur einen schlechten Tag hatte. Es geht schließlich um das Führungs- und Gewaltpersonal, dem uns die demokratische Mehrheit (über Umwege) anvertraut hat. Das kann gerne ein Weilchen dauern – nur keine Eile. Aber dann wüssten wir gerne, welcher Schüsselsprung sich da offenbart hat.

Doch was macht Daniel Haas? Er schriftstellert vor sich hin. Mit einem ddp-Agenturfoto als Vorlage und dem Textgepluster, das die Kollegen aus einem halben Absatz im Wiesbadener Kurier inzwischen gemacht haben.

Daniel Haas Bericht über Kurt Beck Ausfall

Henrico F. hat das perfekte Outfit für die Kreativszene. Die meisten Medienfuzzis in Berlin Mitte brauchen Jahre, Tausende von Euros und einen Stilberater, um so auszusehen.
Asymmetrische Frisur mit Strähnen, Heavy-Metal-Zitat per Nasen-Doppel-Piercing, HipHop-Anmutung durch Kapuzenpulli, Dolce&Gabbana-mäßige, knapp sitzende Lederjacke und als ideologisches Augenzwinkern ein Runenkreuz-Amulett: F. trägt die Stammeskluft der hippen Besserverdiener, wie sie Werbeagenturen, Lifestyle-Magazin-Redaktionen und Internet-Büros von Stuttgart bis Hamburg bevölkern.

Deshalb sei Kurt Becks Tipp völlig kontraproduktiv:

Rasur und Waschung im kleinbürgerlichen Sinn bringen den Mann um jedes Bewerbungsgespräch in einer der letzten Wachstumsbranchen des Landes.

Und so schwadroniert Haas sich noch einige Zeit weiter um den letzten Rest Kollegenrespekt. Das heißt, den vorletzten. Denn natürlich haben auch wir uns Zeit genommen, den Sprung in der Schüssel zu analysieren. Doch Haas hat die Anfrage den ganzen Tag über nicht beantwortet – wie das in seinem Hause so üblich ist.

Was dann heute der Mainzer Sport-Reporter Marco Plein für SpOn nachlegt, hilft freilich, Haasens Werk nicht als Panne oder Feuilleton-Spinnerei, sondern als journalistisches Konzept zu verstehen. Denn nun wird der für die bundesweite Berichterstattung völlig bedeutungslose Arbeitslose zur Medienfigur aufgebaut.

Kapuzenpullover, Tarnhose und Turnschuhe. Dazu Vollbart, Nasenringe und blondierte Haare. Henrico F. machte äußerlich nicht den allerbesten Eindruck. Das fiel auch SPD-Chef Kurt Beck auf, der mit dem 37 Jahre alten Arbeitslosen am Dienstagabend auf dem Wiesbadener Weihnachtsmarkt verbal aneinander geriet.

Die Geschichte wird nun gedreht. Es geht nicht mehr um den unansehnlichen Bartträger Beck, es geht um den Rasierten “Henrico”:

Heute präsentierte sich Henrico F. schon erkennbar verändert: Der Bart ist abrasiert, die Haare sind gekürzt. “Ich nehme jeden Job”, sagte der Arbeitslose. Er sei zum Friseur gegangen, um dem SPD-Chef ein klares Zeichen zu geben: “Ich bin bereit, mich zu verändern.” Er wolle nicht mehr gezwungen sein, “von Almosen vom Amt zu leben”.

Schön, wenn Journalismus endlich mal die Welt verändert, und wenn es nur die von Henrico ist.

Henrico […] Ab und zu klingelt eins seiner vier Handys […] Der Arbeitslose sieht den SPD-Vorsitzenden in der Pflicht […] Die Schuld an der eigenen Misere suchen die beiden vor allem bei anderen […]

Und damit Beck es nicht so schwer hat mit der Jobvermittlung, hilft SpOn ein bisschen nach und bewirbt Tadellosigkeit und Sprachtalent des “nach eigenen Angaben” Baufacharbeiters:

Dass Henrico F. schon mehrmals aufgrund nicht bezahlter Rechnungen Haftstrafen absitzen musste, wie er erzählt, sieht er selbst nicht als Problem. […]Von den Sozialdemokraten hat sich Henrico F. indes schon früher abgewandt. “Irgendwann habe ich gemerkt, dass dieser Partei nichts mehr Soziales hat”, meint er. “Dann bin ich in die Linkspartei eingetreten.”

Nachtrag 20.12.: Der hier zunächst vermeldete “Bauchfacharbeiter” war eine schöne, aber ungewollte Eigenkreation unsererseits,die nun durch den etwas biederen Baufacharbeiter ersetzt wurde. Mit Grüßen an Schlingelulf.

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