Archiv für den Tag: 13. September 2006

stumm

Als Arbeitsminister Franz Müntefering am 4. September um kurz nach 10 Uhr im Potsdamer “Seminaris SeeHotel” das Wort ergriff, war Gabor Steingart nicht dabei. Trotzdem schreibt er in der aktuellen Titelgeschichte:

Es war der deutsche Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering, der in der vergangenen Woche auf einer internationalen Konferenz vor zahlreichen asiatischen Amtskollegen die harten Bedingungen im Weltarbeitsmarkt deutlich benannte. Hungerlöhne, sittenwidrige Gehälter, lebensbedrohliche Arbeitsbedingungen seien nicht hinnehmbar: “Wir dürfen uns nicht gegenseitig in die Knie konkurrieren.” Die anwesenden Minister blieben stumm.

Und das ist falsch. Im Konferenzraum des Hotels eröffnete Müntefering den Kongress mit seiner Rede, die etwa 20 Minuten dauerte. Anschließend gab Müntefering das Wort an die anwesenden Minister und Delegationsleiter, die der Reihe nach und mehr als zweieinhalb Stunden lang sprachen. Auch während des darauffolgenden Mittagsbuffets: Gespräche überall. Müntefering ging sogar extra aus dem Speisesaal in einen Nebenraum, um mit den Vertretern anderer Länder in Ruhe sprechen zu können.

In der Abschluss-Erklärung der Konferenz wird in den Absätzen zwei und drei die Auftakt-Rede von Müntefering wiedergegeben. Die Absätze vier bis neunzehn geben wieder, was die Minister darauf erwiederten und welche Vorschläge für die Zukunft unterbreitet wurden. Man könnte nun der Meinung sein, dass die Minister zwar viel gesprochen, aber wenig gesagt haben. Aber dass sie “stumm” geblieben wären – das kann man nicht behaupten.

Warum aber steht genau das in Steingarts Artikel? Offenbar war die Wahrheit für ihn weniger wichtig als das Ziel, den gewünschten rhetorischen Effekt zu erzielen. Was erneut zeigt: Die Spiegel-Geschichten werden auf eine These hin zugeschrieben – und was nicht zur These passt, wird zurechtgebogen. Der Vorteil ist, dass die Texte im Spiegel sich dadurch einfach flüssiger lesen lassen. Der Nachteil ist, dass die Artikel zwar aus Versatzstücken der Realität montiert sind, diese aber nicht treffend wiedergeben. Geschichten eben.

Schon GEZweifelt?

Heute schon eine Überschrift von Spiegel Online angezweifelt? Diese hier wäre ein Kandidat:

ARD-Intendanten wollen die PC-Gebühr

Die klammen öffentlich-rechtlichen Sender wollen jetzt Internet-User abkassieren. Besitzer von webfähigen Computern oder UMTS-Handys sollen ab Januar 2007 GEZ-Gebühren bezahlen.

Denn korrekter wäre es so:

ARD-Intendanten wollen die PC-Gebühr senken

Die klammen öffentlich-rechtlichen Sender wollen Internet-User entlasten. Besitzern von webfähigen Computern oder UMTS-Handys sollen ab Januar 2007 ein Großteil der ansonsten fälligen GEZ-Gebühren erlassen werden.

Wie es zu diesem Fehler bei Spiegel Online kam, ist leicht zu erklären. In dem Artikel heißt es: “Ursprünglich war auch darüber nachgedacht worden, für PCs genauso hohe Gebühren wie für Fernsehgeräte zu verlangen, nämlich 17,03 Euro pro Monat.” Das ist falsch, denn über die Vollgebühren von 17,03 Euro pro Monat ab 2007 war nicht “nachgedacht worden”, sondern sie sind bereits beschlossene Sache und im Achten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom Oktober 2004 verankert. Wer das nicht weiß, kann die Meldung über den Beschluss der Öffentlich-Rechtlichen leicht falsch einordnen. Wahrscheinlich wäre es einfach besser gewesen, wenn jemand den Artikel geschrieben hätte, der sich damit auskennt.

Nachtrag: In einem neu veröffentlichten Artikel stellt Spiegel Online den Sachverhalt jetzt nicht mehr falsch dar. In dem Text heißt es nun: “Aus Sicht der Öffentlich-Rechtlichen ist man sogar ein bisschen zurückgewichen. […] eigentlich sollten PCs, die ans Internet angeschlossen sind, künftig wie Fernseher behandelt werden – also 17,03 Euro Rundfunkgebühr im Monat kosten. Nun sollen für Internet-Rechner künftig doch nur 5,52 Euro pro Monat fällig werden.” Der fehlerhafte Artikel ist jedoch nach wie vor unkorrigiert online.