Archiv für den Tag: 14. Juni 2006

Falsche Anreize

Es ist ein kurzes Interview auf Seite 19 der aktuellen Spiegel-Ausgabe mit Rainer Wend, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über die geplanten Korrekturen bei Hartz IV. Sechs Fragen, sechs Antworten. Darunter diese:

SPIEGEL: …aber in Einzelfällen kommen gerade Familien mit Kindern, in denen beide Partner von Hartz IV leben, auf Einkommen von bis zu 1.500 Euro, die sie mit Arbeit womöglich nicht erzielen könnten.

Wend: Das stimmt – und vielen erscheint das ungerecht. Da werden tatsächlich falsche Anreize geschaffen.

Wend schlägt daraufhin vor, dass arbeitslose Paare weniger ALG II bekommen.

Doch die Geschichte vom Arbeitslosen, der mehr Geld erhält als ein Arbeiter, ist ein reiner Mythos. Verschwiegen wird dabei: Wessen Einkommen nicht reicht, um die Familie zu ernähren, der erhält zusätzliches Arbeitslosengeld II. Und dabei wird das eigene Einkommen nur teilweise auf das Arbeitslosengeld II angerechnet. Wer arbeitet, halt also immer mehr Geld in der Tasche als ein Arbeitsloser.

Eine Beispielrechnung dazu findet sich in dem Buch “111 Tipps zu Arbeitslosengeld II und Sozialgeld”, herausgegeben vom DGB. Wer 777,30 Euro netto verdient und aufstockendes ALG II erhält, hat in dem in Tipp 84 geschilderten Beispielfall (der auch Freibeträge etwa für Fahrtkosten berücksichtigt) unter dem Strich 269,70 Euro mehr auf dem Konto als jemand, der nicht arbeitet und nur ALG II bezieht. Es gibt also sehr wohl einen finanziellen Anreiz, als Arbeitsloser auch dann eine Arbeit anzunehmen, wenn man nicht seine ganze Familie damit ernähren kann. Zumal: Wenn man den vom Arbeitsamt angebotenen Job ablehnt, riskiert man, dass das Arbeitslosengeld II gekürzt wird. Die Rechnung, die der Spiegel und Rainer Wend aufmachen, geht also hinten und vorne nicht auf.

Zur Ehrenrettung des (nicht genannten) Spiegel-Mitarbeiters, der das Interview geführt hat, muss man freilich sagen: Eine korrekte Darstellung der Gesetzeslage hätte die politische Aussage des Textes verändert. Das hätte dem für seine neoliberale Grundhaltung bekannten Chef des Berliner Hauptstadtbüros, Gabor Steingart, womöglich nicht ins Konzept gepasst. Da werden einfach von oben die falschen Anreize für die Redakteure gesetzt.

Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung

Gleich drei Autoren haben den Artikel über einen möglichen Parteispendenskandal in der NPD geschrieben, der auf Seite 40 der aktuellen Spiegel-Ausgabe steht. Es ist ein schlanker zwei-spaltiger Text und so könnte man annehmen, dass Sven Röbel, Andreas Wassermann und Steffen Winter mit dem Schreiben der paar Zeilen nicht allzu lange beschäftigt waren. Eigentlich hätten sie also wohl auch noch Zeit gehabt, um zum Beispiel das Parteiengesetz zu lesen oder auf der Webseite des Bundestages die Zusammenfassung Die staatliche Parteienfinanzierung (PDF). Dort hätten sie lesen können, welche Sanktionen der NPD für den in dem Artikel geschilderten Fall drohen: Der Ex-NPD-Vorsitzende von Thüringen soll Quittungen für Spenden an die NPD über insgesamt mehrere hunderttausend Euro ausgestellt haben, obwohl es die entsprechenden Spenden gar nicht gab. Die Empfänger der Quittungen hätten die vermeintlichen Spenden so von ihrer Steuer absetzen können. Und da der Staat jede Spende an eine Partei bei entsprechendem Wahlergebnis durch einen Zuschuss belohnt, hätte auch die NPD durch zusätzliches Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung profitiert. Weiterlesen