Framing statt Berichterstattung

DJV-Blog korrigiert intransparent

Die journalistische, also kollegiale Reaktion auf einen Reformaufruf für den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), “Meinungsvielfalt jetzt“,  fiel vor allem kommentierend auf – und wenig berichtend. Dass ausgerechnet bei einem solchen Medienthema Journalisten selbst wieder meinen, den Diskussionston angeben zu müssen, anstatt zunächst einmal nach sachlicher Berichterstattung die Reaktionen des (also: ihres) Publikums abzuwarten, zeigt wohl schon einen wesentlichen Teil des Problems. Weiterlesen

Bauern-Protest und demokratische Kultur in der Tagesschau

Die Tagesschau präsentiert zum heutigen Beginn der “Bauernproteste” online als erste Meldung:

>Forscher, Verfassungsschützer und Politiker warnen: Extremisten unterwandern zunehmend Demos. Von den Landwirten fordern sie eine klare Abgrenzung. Wenn an Traktoren Galgen hängen, sei eine Grenze überschritten, so Minister Habeck.<

Entgegen der Ankündigung im Teaser kommen jedoch nur ein Forscher und ein Verfassungsschützer im Beitrag zu Wort. Nach welchem Kriterium die beiden ausgewählt wurden, wird nicht dargelegt. Damit ist u.a. völig unklar, ob ihre Positionen als repräsentativ für ihr Metier gelten können – was bei dem Allgemeinbegriff “Forscher” schon an sich unmöglich wäre. Eine Vielfalt an Perspektiven kann so keinesfalls aufgezeigt werden, womit das Qualitätskriterium der Vollständigkeit tangiert ist.

Denn was der zitierte Forscher Matthias Quent (Institut für demokratische Kultur, Hochschule Magdeburg-Stendal) vorträgt, sind vor allem Bewertungen, ja konkrete Handlungsempfehlungen: Weiterlesen

“Fall Gil Ofarim” ist mal wieder ein “Fall Skandalisierungsjournalismus”

BILD, 6. Oktober 2021, Seite 3, mit Tatsachenbehauptung im Titel

Nach einem Geständnis hat das Landgericht Leipzig das Strafverfahren gegen Gil Ofarim vorläufig eingestellt. Der Sänger hatte vor zwei Jahren einen Hotelmitarbeiter öffentlich via Instagram beschuldigt, ihn antisemitisch diskriminiert zu haben. Nun räumte er ein, damals die Unwahrheit gesagt zu haben, wie es ihm die Staatsanwaltschaft vorgeworfen hatte. Die Lügengeschichte des Sängers Gil Ofarim war keine Bagatelle, doch zu einem Skandal wurde sie nur durch das Interesse von Journalisten an eben einem solchen. Siehe ausführlich: Gil Ofarims Geständnis führt den Vorverurteilungs-Journalismus vor Weiterlesen

Lesebeute: “Gefälligkeitsjournalismus” beim Spiegel

Übermedien hatte im September 2023 über Nähe des freien Spiegel-Autors Andreas Haslauer zu seinen journalistischen Gesprächspartnern berichtet. Nun hat Autorin Lisa Kräher nochmal beim Hamburger Blatt nachgefragt, Demnach habe der Spiegel nachträglich “bei sechs Reiseberichten von Haslauer einen fehlenden Transparenzhinweis ergänzt” (alle Beiträge sind kostenpflichtig). Die Übernahme von Übernachtungskosten des Reporters durch einem Tourismus-Verband in einem Fall sei dem Spiegel nicht bekannt gewesen. Ferner schreibt der Spiegel zur Frage nach einem reaktionslos gebliebenen Leserhinweis laut Kräher: “Dass wir dem Hinweis auf Gefälligkeitsjournalismus nicht sofort nachgegangen sind, bedauern wir sehr.”

Die frei zugängliche Geschichte bei Übermedien: “Nach Interessenkonflikten: ‘Spiegel’ plant nicht mehr mit seinem Autor” (8. November 2023)

Personalpolitik des Bayerischen Rundfunks per Twitter

Die öffentlich-rechtlichen Sender Bayerischer Rundfunk und Arte haben am Wochenende öffentlich verkündet, mit dem Journalisten und Moderator Malcolm Ohanwe nicht mehr zusammenzuarbeiten. Anlass waren wohl Äußerungen auf X/ Twitter zu den Angriffen der Hamas auf Israel.

Beide Sender machten die Personalentscheidung zwar öffentlich, lieferten aber keine für eine Beurteilung notwendigen Fakten. Stattdessen präsentierten sie ein Dauerproblem des Journalismus: Meinungen und Tatsachenannahmen statt Fakten.

So schrieb Arte am Samstagabend auf Twitter/X: Weiterlesen

Rechtliche Absicherung von Verdachtsberichterstattung durch Eidesstattliche Versicherungen

Zugegeben, auch wir waren lange Zeit der Ansicht, die in investigativen Pressestücken oft zu findende Aussage, es lägen Eidesstattliche Versicherungen der (anonymen) Zeugen vor, seien rechtlich wertlos. Schließlich steht im Gesetz explizit:

>Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (§ 156 StGB)<

Selbst der bekannte und vielschreibende Bundesrichter a.D. Thomas Fischer äußerte sich entsprechend zur Verdachtsberichterstattung über Regisseur Dieter Wedel 2018: Weiterlesen

SPIEGEL sehr knapp zu Farbanschlag auf Brandenburger Tor

Der SPIEGEL hat am Sonntag den Farbanschlag auf das Brandenburger Tor in Berlin, zu dem sich die “Letzte Generation” bekannt hat, nur in einer – recht wohlwollenden – Meldung beschäftigt. Anders als bei vergleichbaren Protestformen anderer politischer Gruppen verzichtete der SPIEGEL völlig auf eine Einordnung: Er benannte keine Details zu den Folgen des Farbanschlags und brachte keinerlei kritisches Statement von gesellschaftlichen Akteuren. Stattdessen berichtete er:

>Die Protestaktion sei Teil des sogenannten Wendepunkts, hieß es von der Letzten Generation: Hunderte Menschen seien in der Hauptstadt zusammengekommen, um einen Wendepunkt anzustoßen. Bis Freitag seien Spenden von mehr als 600.000 Euro für die Aktionen der Klimaaktivisten zusammengekommen.
Von Montag an wolle sie erneut in größerem Umfang Straßen und Kreuzungen in Berlin blockieren, kündigte die Gruppe an. Die Polizei hat angekündigt, schnell zu reagieren und für Blockadeaktionen bekannte Kreuzungen und Autobahnausfahrten frühzeitig zu beobachten.<

Auf der Startseite gab es am Sonntagabend keinerlei prominenten Hinweis. Die Tagesschau hingegen, der immer wieder vorgeworfen wird, brisante Nachrichten nicht oder zu spät zu bringen, hatte den Vorfall in ihrer Hauptsendung um 20 Uhr.

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SPIEGEL: “Alles für Deutschland”

Fehler können und dürfen passieren – auch dem SPIEGEL. Doch wer sich nicht nur immer wieder seiner Dokumentationsabteilung rühmt, die jedes Wort prüfe, sondern wer auch bei der Beurteilung anderer gerne auf Fehlergnade verzichtet, sollte dann doch in entsprechendem Zusammenhang erwähnen, selbst einen Fauxpas begangen zu haben.

>Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke muss wegen des Vorwurfs der Verwendung von NS-Vokabular vor Gericht. Das Landgericht Halle in Sachsen-Anhalt ließ die Anklage der Staatsanwaltschaft Halle wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zur Hauptverhandlung zu, wie das Gericht mitteilte.<

So beginnt Spiegel.de eine Meldung (13.09.2023), die gerade durch alle Medien geistert. Höcke und Nazi-Vokabular, da kann der Journalismus nicht widerstehen.

Etwas später heißt es im SPIEGEL-Text:

>Konkret geht es um Äußerungen Höckes auf einer AfD-Wahlkampfveranstaltung vor zwei Jahren in Merseburg. Höcke soll dort vor rund 250 Zuhörerinnen und Zuhörern die Worte »Alles für Deutschland« benutzt haben, die verbotene Losung der Sturmabteilung (SA) der nationalsozialistischen NSDAP. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft wusste Höcke um die Herkunft und Bedeutung dieses Ausdrucks.<

Es fehlt eine Wissens-Begründung, die sich in anderen Texten findet, z.B.: “Höcke war vor seiner politischen Karriere Geschichtslehrer in Hessen.” (SZ) Weiterlesen